Dem einen oder anderen Leser wird es sicher ähnlich gegangen sein – ich jedenfalls hatte am Wochenende gleich mehrere Gespräche zum Bankenrettungsplan für Zypern, in denen der Tenor “Gut, dass neben dem deutschen Steuerzahler endlich auch einmal die Bürger eines bankrotten Systems in Teilhaftung genommen werden” überdeutlich durchklang. Obwohl ich diese Einstellung grundsätzlich nachvollziehen kann – der momentane Plan sieht bekanntlich vor, dass von Bankguthaben unter 100.000 Euro eine einmalige Abgabe von 6,75% und von Guthaben über 100.000 Euro eine einmalige Abgabe von 9,9% erhoben wird – halte ich es für wichtig, sich einmal ein paar volkswirtschaftliche Grundlagen vor Augen zu führen, ohne damit jedoch den Untergangspropheten der “doomsday economics” nach dem Mund reden zu wollen.
Beginnen möchte ich mit der Frage, welche grundlegende Erkenntnis man als EU-Bürger aus dem Deal – wenn er denn in dieser Form vom Parlament aufrechterhalten wird – gewinnen muss. Für mich sticht vor allem die Einsicht heraus, dass die Einlagensicherungsgarantie des Staates für die in den Banken hinterlegten Vermögen offenbar nur noch eingeschränkt gilt – zumindest in Zypern (zu anderen Ländern weiter unten mehr). Wie Tim Worstall im Forbes Magazine zu Recht feststellt, existiert diese Garantie jedoch keineswegs primär aus rein altruistischen Gründen (also beispielsweise, um das über Jahre mühsam erarbeitete Vermögen des “kleinen Mannes” vor einer möglichen Bankenpleite zu schützen), vielmehr dient sie vor allem dem Zweck, die Arbeitsfähigkeit der Banken (und ihre Investitionstätigkeit) abzusichern.
Wie allgemein bekannt ist, arbeitet die Bank mit dem bei ihr hinterlegten Geld der Anlieger, indem sie es verzinslich verleiht. Ein Großteil des Kapitals wäre daher nicht von einem Tag auf den nächsten verfügbar, sollten sich alle (oder auch nur ein größerer Anteil) der Kontoinhaber plötzlich dazu entscheiden, ihr Geld vollständig abheben zu wollen. Einen solchen “bank run” kennen Freunde des klassischen Films vielleicht noch aus der Szene aus “It’s a Wonderful Life”, in der George Baily versucht, einen solchen zu verhindern. Das größte Problem an einem bank run ist dessen Eigenschaft einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Je mehr Kunden die Bank für unsicher halten und ihr Geld deshalb abheben möchten, umso größer werden die fiskalischen Schwierigkeiten, in die die Bank gerät.
Dass es selbst dann nicht zu derartigen Szenen kommt, wenn das Vertrauen in eine bestimmte Bank schwindet, hängt vor allem damit zusammen, dass der Staat die Einlagen der Sparer durch von Land zu Land verschiedene Methoden bis zu einer bestimmten Höhe absichert, d.h. notfalls etwa mit Geldern der Zentralbank in die Bresche springt, sollte die Bank entsprechende Forderungen nicht länger bedienen können. Das Vertrauen in diesen Mechanismus wird nun jedoch unglücklicherweise durch die pauschale Entwertung aller Guthaben in Zypern erodiert, was sich wiederum negativ auf schwächelnde Banken in anderen Staaten der Eurozone auswirken könnte. Warum dies so ist, kann man sich leicht vor Augen führen.
Angenommen, man verfügt als Bürger Griechenlands, Spaniens, Italiens oder Portugals über ein einlagengesichertes Guthaben bei einer regionalen Bank. Aus der Presse sowie aus dem politischen Diskurs weiß man, dass besagte Bank ähnliche strukturelle Defizite aufweist, wie dies bei den angeschlagenen zyprischen Banken der Fall ist. Die pauschale Entwertung der dortigen Guthaben führt wiederum zu einem klassischen spieltheoretischen Problem – dem sogenannten Gefangenendilemma. Während es für das Kollektiv aller Bankkunden am günstigsten wäre, die Ruhe zu bewahren und darauf zu hoffen, dass keine Abwertung oder maximal eine Abwertung im unteren Prozentbereich stattfindet, ist es für den individuellen Bankkunden dagegen rational, sein eigenes Geld so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, um einer Abwertung um 10%, 15% oder vielleicht gar 20% zuvorzukommen. Sollte das zyprische Parlament heute einer Abwertung zustimmen, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, ob viele Sparer in den angeschlagenen Euro-Staaten tatsächlich so reagieren.
Hinzu kommt das meiner Einschätzung nach nicht unerhebliche Problem, dass ein Großteil des eingezogenen Vermögens aus dem Ausland und insbesondere aus Russland und damit aus dem EU-Ausland stammt. Zahlreiche russische Oligarchen und – so muss man vermuten – auch Entscheidungsträger der russischen Unterwelt halten erhebliche Summen in zyprischen Banken. Es darf angenommen werden, dass weder die russische Regierung der teilweisen Enteigung von legitim erworbenem Vermögen ohne Protest zusehen, noch sich die russische Mafia einen 10%igen Geldabzug einfach so gefallen lassen wird – in Summe reden wir hier ja auch nicht von einigen Millionen Euro, sondern vielmehr von einigen Milliarden Euro, die russischen Anlegern hier verlorengehen. Sowohl durch die russische Regierung als auch durch das organisierte Verbrechen in Russland wird eine ohnehin bereits instabile Situation jedoch um zwei weitere unberechenbare und damit im Grunde nicht wünschenswerte Elemente ergänzt. Man stelle sich nur einmal das öffentliche Echo für den Fall vor, die russische Regierung könnte für ihre Bürger eine Ausnahme erwirken, während dies der zyprischen Regierung für ihre Bürger nicht gelingt.
All diese Probleme machen es meinem Erachten nach eher unwahrscheinlich, dass der Beschluss vom Wochenende in der derzeit vorgesehenen Form jemals umgesetzt wird – egal, ob ihn nun das Parlament oder am Ende doch die EZB selbst wieder kippt. Alles andere wäre eine echte Überraschung – und würde für mehrere finanzpolitischer Präzedenzen sorgen…
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