Da viele meiner regelmäßigen Blogleser wissen, dass ich in Sachsen-Anhalt lebe und arbeite, habe ich das Gefühl, die fristlose Entlassung unserer Landesministerin für Wissenschaft und Wirtschaft – zumal auf einer Wissenschaftsblog-Plattform – nicht gänzlich unkommentiert lassen zu können. Ich lege jedoch größten Wert darauf, dass ich das, was ich hier schreibe, lediglich als politisch interessierter Bürger und Mitglied der Landes-CDU – und nicht als Vertreter unseres An-Instituts oder gar meiner Hochschule – zu Papier bringe; der nachfolgende Text also nicht mehr als eine persönliche Meinung zu den Ereignissen des vergangenen Freitags ist.
Was ist passiert? Wer sich in der Polit-Szene in Sachsen-Anhalt ein wenig auskennt weiß, dass die beiden einzigen Frauen in der aktuellen Ministerriege Professorinnen aus den Hochschulen unseres Landes sind – unsere Justizministerin Angela Kolb war vor ihrem Wechsel in die Politik Professorin für Verwaltungsrecht und Dekanin des Fachbereichs Verwaltungswissenschaften an „meiner“ Hochschule Harz, die entlassene Wissenschafts- und Wirtschaftsministerin Birgitta Wolff dagegen Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management an der OvGU Magdeburg – mit einem beeindruckenden wissenschaftlichen Lebenslauf: Studium in München und Harvard (dort als J.F. Kennedy Fellow), Gastprofessorin an der Georgetown University und Forscherin an der Stanford Graduate School of Management. Obwohl sie während ihrer Zeit in Magdeburg unter anderem Rufe aus den Universitäten in Münster und Wien erreichten, blieb sie Sachsen-Anhalt treu und stand ab 2008 dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität als Dekanin vor, während sie gleichzeitig mehrere Gastprofessuren in der Ukraine, in Brasilien und in China wahrnahm.
Prof. Wolff auf einem CDU-Forum in Wernigerode im Jahr 2011.
Die meisten ScienceBlogs-Leser werden wissen, dass, wer sich in der Wissenschaft einmal so weit nach vorne gearbeitet hat, den Wissenschaftsbetrieb nur sehr selten wieder verlässt – und das erst recht nicht, um in die Politik zu wechseln. Genau dies tat jedoch Frau Wolff: Als der parteilose Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz im Jahr 2010 als neuer Präsident der Berliner Humboldt-Universität berufen wurde, bat der damalige CDU-Ministerpräsident – Prof. Wolfgang Böhmer – die Wirtschaftswissenschaftlerin darum, seinem Kabinett als neue Kultusministerin beizutreten. Dieses Amt hatte sie dann bis zur letzten Landtagswahl im Jahr 2011 inne, bei der die scheidende Regierung Böhmer durch eine fortgesetzte große Koalition unter Führung des neuen Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff abgelöst wurde. In dieser neuen Landesregierung übernahm Prof. Wolff das neugeschaffene Amt der Ministerin für Wissenschaft und Wirtschaft – ein Amt, dass sie trotz der schwierigen Aufgabe, Wirtschaft und Wissenschaft unter einen Hut bringen zu müssen, mit einem so großen Erfolg ausübte, dass der Deutsche Hochschulverband sie sowohl 2011 als auch 2012 zur „Wissenschaftsministerin des Jahres“ kürte.
So weit, so gut. Am frühen Freitag Nachmittag überraschte nun die Mitteldeutsche Zeitung mit der Eilmeldung, dass Ministerpräsident Haseloff seine erfolgreiche Wissenschaftsministerin mit sofortiger Wirkung ihres Amtes enthoben habe – und auch der Amtsnachfolger bereits feststehe. Eine Meldung, die kurze Zeit später durch die Staatskanzlei bestätigt wurde und die – das darf wohl mit Fug und Recht festgestellt werden – den Politbetrieb im überschaubaren Sachsen-Anhalt gehörig erschüttert hat. Bemerkenswert ist und bleibt vor allem der Grund der Entlassung, schließlich musste Frau Wolff ihren Ministerposten nicht etwa wegen einer plagiierten Arbeit, einer Trunkenheitsfahrt oder einer aufgedeckten Steuerhinterziehung abgeben. Vielmehr wurde sie entlassen, weil sie die mehrheitliche Zustimmung des Kabinetts zu massiven Kürzungen in den Etats der immerhin ihr unterstellten Hochschulen öffentlich kritisiert hatte.
Auch hierzu noch ein wenig Kontext: Vor einigen Wochen überraschte SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn mit der Ankündigung, die Budgets der Hochschulen beginnend spätestens 2015 über einen Zeitraum von zehn Jahren um jährlich 5 Millionen Euro „per Rasenmäherschnitt“ kürzen zu wollen. Wie nicht anders zu erwarten, führte diese Ankündigung zu nicht unerheblicher Kritik unter anderem seitens der Landesrektorenkonferenz sowie zahlreicher Wissenschaftler und Vertreter des politischen Lebens. Auch Ministerin Wolff sprach sich in einem vielbeachteten Interview mit der Magdeburger Volkssimme (das auf der Webseite des Wissenschaftszentrums Wittenberg in voller Länge nachgelesen werden kann) gegen rein lineare Kürzungen aus, und plädierte vielmehr dafür, in einen dauerhaften Dialog mit den Hochschulen einzutreten, um vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nach Möglichkeiten der Konsolidierung zu suchen, wobei am Ende das gleiche Sparziel (eine Reduzierung des Jahresbudgets um 50 Millionen Euro) – nur eben schonender umgesetzt – realisiert werden sollte.
“Kürzungen von insgesamt fast 77 Millionen Euro kämen eher einem Wasserentzug gleich. Die Profilschärfung, die wir anstreben, wäre nicht möglich. Die Hochschulen haben sich kooperativ gezeigt. Allen ist klar, dass wir in einer finanziellen Konsolidierungsphase sind. Aber die Basis für eine Diskussion über Kürzungen muss das Gutachten des Wissenschaftsrates sein, das im Sommer kommt.” – Prof. Wolff im Interview mit der Volksstimme am 17.04.2013
Insbesondere dieses Interview und der darin geäußerte öffentliche Widerspruch zur Linie des Finanzministeriums führten nun offenkundig zu Wolffs Entlassung. Bemerkenswert (und für mich als CDUler enttäuschend) daran ist, dass keine ihre Aussagen in irgendeinem Widerspruch zu den etablierten Positionen der Landes- oder der Bundes-CDU in Sachen Hochschulfinanzierung steht. So gut wie jeder ihrer Sätze in dem besagten Volkssimme-Interview hätte ebensogut im Wahlprogramm der CDU oder in einem Vortragsmanuskript von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka stehen können. Tatsächlich versprach das CDU-Wahlprogramm zur Landtagswahl 2011 unter anderem:
„Die Bedeutung von Forschung, Wissenschaft und Bildung für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Sachsen-Anhalt ist für die CDU unbestritten. Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie die Heranbildung hoch qualifizierter Hochschulabsolventen mit guten Perspektiven am Arbeitsmarkt sind daher in Zeiten knapper Kassen besonders wichtig. (…) Grundsätzliches Ziel muss (daher) die weitere Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Sachsen- Anhalt sein. Unsere Region muss nicht nur innerhalb von Deutschland, sondern auch im internationalen Vergleich innovative Prozesse anstoßen und mitbestimmen – ohne die geisteswissenschaftlichen Traditionen zu vernachlässigen.“
Und weiter:
„Eine erfolgreiche Wissenschaftsentwicklung benötigt längerfristig verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen, denn in unserem rohstoffarmen und exportabhängigen Land sind geistige Potenziale eine der größten Ressourcen. Dies gilt besonders für wirtschaftlich herausfordernde Zeiten, weil wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Technologien die Voraussetzung für Investitionen sind. Daher muss die Planungssicherheit insbesondere an den Hochschulen/Universitäten durch Folgezielvereinbarungen gewährleistet werden. (…) Erklärtes Ziel der CDU ist, die Finanzierung der Wissenschaftseinrichtungen mittelfristig zu verstetigen und die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen gegenüber den staatlichen außeruniversitären Einrichtungen zu sichern.“
Im Koalitionsvertrag der CDU-SPD-Landesregierung heißt es darüber hinaus:
„Die Koalitionspartner sehen in einer leistungsfähigen Wissenschaftslandschaft ein entscheidendes Element zur Fortentwicklung des Landes und erkennen die dabei bislang von den Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften (nachfolgend: Hochschulen) erbrachten Leistungen an. Daher wird es in dieser Legislaturperiode darauf ankommen, die sieben staatlichen Hochschulen weiter leistungsfähig zu erhalten und im zunehmenden Wettbewerb um nationale und internationale Ressourcen zu stärken.“
Und weiter:
„Ein funktionstüchtiges Hochschulsystem erfordert eine aufgabengerechte angemessene Finanzausstattung, die über einen mehrjährigen Zeitraum abgesichert ist. Daher werden zum Ende der laufenden Zielvereinbarungsperiode im Jahr 2013 Vereinbarungen mit den Hochschulen angestrebt, die grundsätzlich wieder eine fünfjährige Laufzeit haben.“
Wer Wahlprogramm, Koalitionsvereinbarung und die diversen Interviews von Prof. Wolff aus den vergangenen Wochen vergleicht, kann im Grunde nur zu dem Schluss kommen, dass die Ministerin lediglich Standpunkte verteidigt hat, die erklärten Positionen ihrer eigenen Partei und erklärten Zielen der von dieser geführten Regierungskoalition entsprechen. Dieser Umstand ist es auch, der ihre fristlose Entlassung für viele interessierte Beobachter so unverständlich macht. Und so hagelte es denn am Freitag nicht nur parteiübergreifend Kritik für den Rauswurf, vielmehr waren auch und gerade aus der Wissenschaftsszene überraschend kritische Töne zu hören. So sprach etwa der Deutsche Hochschulverband in einer ersten Stellungnahme von einer „völlig unverständlichen“ Entscheidung, während die Bildungsgewerkschaft GEW einen „Verfall der politischen Sitten“ attestierte. Besonders scharfe Worte fand Prof. Sträter – der Rektor der Universität Halle – der gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung von einer „katastrophalen“ Fehlentscheidung und einer „Kriegserklärung an die Hochschulen“ sprach.
“Die Entwicklung der vergangenen Tage, die zur Entlassung durch den Ministerpräsidenten Haseloff führten, sind äußerst bedauerlich, nicht nachvollziehbar und werden seitens der Uni als eindeutige Maßnahme zur Schwächung der Hochschulinteressen gewertet.” – Prof. Dr.-Ing. habil. Jens Strackeljan, Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Quelle)
Fakt ist: Frau Wolff wurde entlassen, weil ihr öffentlicher Widerspruch zu den Kürzungsplänen (die unter anderem den Standort der seit über 300 Jahren bestehenden Medizinerausbildung in Halle gefährden) nach Auffassung einiger Kabinettskollegen (und man darf annehmen eben auch des Ministerpräsidenten) den Eindruck einer zerstrittenen Landesregierung zu entstehen lassen drohte, die sich in Sachen Hochschulfinanzierung nicht auf eine gemeinsame Linie unter der Führung des Ministerpräsidenten einigen kann. Dieser Einschätzung ist in gewisser Weise sicher zuzustimmen – allerdings stellt sich mir doch die Frage, ob durch den Rauswurf nicht eine ganze Reihe anderer, ebenfalls äußerst negativer Eindrücke entstanden ist, die das Ansehen der Landesregierung weitaus schwerer belasten werden.
So ist doch der Eindruck entstanden, dass fachliche Differenzen im Kabinett nicht auf dem Wege der Diskussion geklärt werden können. Es ist der Eindruck entstanden, dass eine sicher sehr unbequeme und menschlich schwierige Personalentscheidung nicht im persönlichen Gespräch vermittelt werden kann (Frau Wolff wurde während einer Dienstreise telefonisch über ihre Absetzung informiert). Es ist der Eindruck entstanden, als ob in einer eigentlich CDU-geführten Landesregierung ein SPD-Minister in erheblichem Maße darüber mitentscheiden kann, ob CDU-Minister ihre Posten zu räumen haben. Es ist der Eindruck entstanden, als verfüge die Landes-CDU nicht über ausreichend qualifiziertes Personal für die Besetzung eines Ministerpostens, so dass man einen eigentlich schon aus der Politik ausgeschiedenen früheren niedersächsischen Landesminister „importieren“ muss, um die entstandene Lücke zu füllen. Und es ist der Eindruck entstanden, als ob der Nachfolger im Amt insbesondere wegen seines Leumunds als „Sparfuchs“ berufen worden wäre – ein äußerst negatives Signal in die Hochschullandschaft des Landes.
All diese Eindrücke scheinen mir deutlich unschöner zu sein, als die Impression, die auch bei einer fortgesetzten öffentlichen Kritik der nun entlassenen Ministerin am Hochschul-Sparkurs selbst im schlimmsten denkbaren Fall hätte entstehen können: Dass nämlich eine engagierte Wissenschaftlerin und Politikerin sich für die Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihres Ressorts einsetzt – was man im Grunde ja von jedem Minister erwarten muss, der sein Amt mit Leidenschaft ausfüllt. So gesehen bin ich geneigt, dem spontanen Vergleich des MZ-Redakteurs Kai Gauselmann auf Twitter zuzustimmen: Die krasseste Fehlentscheidung seit dem Wembley-Tor. Eine Fehlentscheidung, die wir gerade in der CDU bei den in nächster Zeit anstehenden Wahlkämpfen meiner Einschätzung nach noch zu spüren bekommen werden.
Ich jedenfalls habe Frau Wolff auf etlichen Veranstaltungen in den vergangenen Jahren sowohl als Kultus- als auch als Wissenschaftsministerin als eine hochkompetente Politikerin und gute Rednerin erlebt, der zuzuhören sich stets gelohnt hat. Ihre jahrzehntelange persönliche Erfahrung im Hochschulbereich wird gerade jetzt, da sich die Hochschulen unseres Landes strukturell auf den demografischen Wandel werden einstellen müssen, ganz enorm fehlen – zumal ihr designierter Nachfolger bereits im ersten Pressegespräch durchblicken ließ, zur niedersächsischen Hochschullandschaft persönlich eher wenig Kontakt zu haben. Die nächsten Monate werden zeigen, welchen Kurs die Hochschulpolitik unseres Bundeslandes nehmen wird – klar scheint mir derzeit jedoch bereits dies zu sein: Die Hürde für öffentlichen Widerspruch zu den ressortübergreifenden Sparplänen des Finanzministeriums, die neben der Forschung auch die (schulische) Bildung sowie die Kultur betreffen, ist vergangenen Freitag deutlich höher gelegt worden. Als nächstes dürfte dies wohl Kultusminister Dorgerloh zu spüren bekommen, wenn die Umsetzung der Ergebnisse des Kulturkonvents in Frage gestellt wird…
Gemeinsam mit einigen Kollegen bei der Hugo-Junkers-Preisverleihung durch Prof. Wolff Ende 2012. Wie bei allen wichtigen Fotografien halte ich meine Augen auch hier fest geschlossen.
(Foto (c) MDKK GmbH)
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