Seit vielen Jahren wird in Wernigerode nach einer Nutzungsmöglichkeit für das sich im Besitz der öffentlichen Hand befindliche sogenannte „Ochsenteichgelände“ gesucht, das als einziges größeres Gelände in der Nähe des Stadtzentrums derzeit noch unbebaut ist und nur sporadisch als Festgelände etwa für das „Wernigeröder Oktoberfest“ genutzt wird. Die seit Jahren geführte kommunalpolitische Debatte um die Nutzung dieses Geländes ist derzeit aus zwei Gründen wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: Erstens, weil mit der „Gläsernen Werkstatt“ der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) und mit dem seniorenfreundlichen „Vitapark“ der Wernigeröder Wohnungsgenossenschaft WWG und des Steinke-Gesundheits-Centers Halberstadt gleich zwei aktuelle Nutzungskonzepte potentieller Investoren vorliegen – und zweitens, weil die Stadt in Zusammenarbeit mit der Hochschule Harz (namentlich mir Prof. Dr. Birgit Apfelbaum und Prof. Dr. Anne-Dore Uthe) und dem in Berlin ansässigen nexus-Institut ein sogenanntes Bürgergutachten zu den Nutzungsmöglichkeiten des Geländes initiiert hat.
Bei einem Bürgergutachten handelt es sich um ein in den 1970er Jahren entwickeltes Bürgerbeteiligungsverfahren, in dessen Rahmen per Zufall ausgewählte Bürgerinnen und Bürger als Bürgergutachter in einer sogenannten Planungszelle in einem neutral moderierten Prozess Impulse für öffentliche Planungsverfahren erarbeiten. Obwohl man sicher befürchten muss, dass die Aussagekraft der Ergebnisse insgesamt unter selbstselektiven Effekten leidet, da sich die zufällig ausgewählten Bürger – im Gegensatz etwa zur „jury duty“ in den USA – frei für oder gegen eine Teilnahme entscheiden können (und das persönliche Interesse an der weiteren Entwicklung des Geländes sogar als Hauptgrund für die Teilnahme genannt wurde), stellt das Bürgergutachten zum Ochsenteichgelände den ersten Versuch überhaupt dar, ein derartiges partizipatives Instrument in einen noch laufenden Entscheidungsfindungsprozess in der Wernigeröder Kommunalpolitik einzubinden und ist allein schon deshalb für mich als kommunalpolitisch interessierten Bürger von großem Interesse.
Unter den vielen interessanten Anregungen des Berichts ist mir in erster Lesung allerdings vor allem ein Ergebnis (Tabelle AE-8 auf Seite 51) ins Auge gefallen, das mit der eigentlichen Frage der idealen Geländenutzung nur peripher zu tun hat. Diskutiert wurde nämlich unter anderem, welche Nebeneffekte in Frage kommender Geländenutzungsideen auf die Anwohner die per Zufall ausgewählten Bürgergutachter für zumutbar halten. Hier liegt deutlich erkennbar die zeitweise Lärmbelästigung durch Großveranstaltungen wie Oktoberfest und Stadtschützenfest an erster Stelle (39 Bewertungspunkte), gefolgt von der Lärm- und Luftverschmutzung durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen im Areal beispielsweise aufgrund neuer touristischer Attraktionen, Veranstaltungen oder zusätzlicher Wohnbebauung (13 Bewertungspunkte). Als deutlich weniger zumutbar (4 Bewertungspunkte) als Veranstaltungslärm und Verkehrslärm wurden dagegen die Nebeneffekte eingestuft, die sich aus der Nutzung des Geländes als Grün- und Spielplatzanlage für Kinder ergeben würden.
Und das hat mich dann doch ein wenig erstaunt, insbesondere da ich die gesellschaftliche Debatte um „Spielplatzlärm“ mit der Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes im Jahr 2011 für mehr oder weniger beendet gehalten hatte. Obwohl zwar das Bürgergutachten insgesamt zu dem Schluss kommt, dass die Spielplatz-Nebeneffekte noch als tolerierbar einzustufen sind, finde ich den sehr deutlichen Abfall in der Bewertung der Zumutbarkeit zwischen Veranstaltungslärm, erhöhtem Verkehrsaufkommen und einem Spielplatz dennoch bemerkenswert. Natürlich mag dies ein Ergebnis sein, welches der situativen Gruppen- und Diskussionsdynamik zuzuschreiben ist, die eben an dem Tag zum Tragen kam, als die Frage der Zumutbarkeit in der Planungszelle besprochen wurde. Mich würde deshalb einmal die (natürlich höchst selbstselektive und daher nicht repräsentative) Meinung der geschätzten ScienceBlogs-LeserInnen interessieren: Wärt ihr Mitglied einer Planungszelle in eurer Stadt / Kommune und müsstet die Tolerierbarkeit der aufgeführten Aspekte (Lärm durch Veranstaltungen, höheres Verkehrsaufkommen, baubedingte Verkehrsbehinderungen, Emissionen einer Dampf-Kleinbahn und Spielplatznutzung) bewerten – wie würde eurer persönliches Ranking aussehen?
Hier lässt sich das Bürgergutachten zum Ochsenteichgelände kostenfrei herunterladen. |
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