„Gallia est omnis divisa in partes tres…“ Jedem, der in der Schule das Glück hatte, einen guten Lateinunterricht genießen zu dürfen, wird die Einleitung von Caesars „De bello Gallico“ sicher noch in den Ohren klingen. Das bis heute populäre Werk des ersten römischen Alleinherrschers beschreibt den Verlauf des Gallischen Krieges (von 58 bis 50 v. Chr.), der ganz erheblich zur Ausweitung und Konsolidierung römischer Macht in Nordeuropa beigetragen hat. Und auch der weitere historische Verlauf des römischen Engagements im Norden und insbesondere des römischen Griffs nach dem dortigen germanischen Stammesgebiet, wird vielen noch gut aus der Schulzeit bekannt sein: Unter dem biblischen Kaiser Augustus werden drei römische Legionen im Jahre 9 n. Chr. unter dem Kommando des Feldherren Pubilius Quinctillus Varus („Als die Römer frech geworden…“) so vernichtend von verbündeten Stämmen unter Führung des Cheruskerfürsten Arminius („Armin der Cherusker“) geschlagen, dass kaum jemand überlebt.

Rekonstruktion

Rekonstruierte Wälle auf dem vermuteten Feld der Varusschlacht bei Kalkriese (Foto: Markus Schweiß; Lizenz: CC BY-SA 3.0).

 

„Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder“ soll Kaiser Augustus bei Überbringung der Schreckensnachricht von seinem Feldherren verlangt haben, der sich jedoch bereits auf dem Schlachtfeld entleibt hatte. Danach – so wollte es zumindest die populäre Geschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte – haben die Römer bis auf eine eher mäßig erfolgreiche Strafexpedition des Feldherren Nero Claudius Germanicus (von 14 bis 16 n. Chr.) nie wieder einen Vorstoß in germanisches Gebiet gewagt, sondern alle Eroberungspläne verworfen und statt dessen ihre Grenzen durch den Ausbau des gewaltigen Limes gesichert.

Eine archäologische Ausgrabung ganz in meiner Nähe – am niedersächsischen Höhenzug Harzhorn – hat dieses Schulbuchwissen vor einigen Jahren auf spektakuläre Art und Weise widerlegt. Die damals gefundenen römischen Artefakte belegen eindeutig, dass die römische Armee noch über 200 Jahre nach der verlorenen Varusschlacht durch tiefstes germanisches Stammesgebiet marschierte und sich keineswegs hinter dem Limes verschanzte. Um eine kurze Vorstellung dieses Grabungsgebietes soll es mir heute gehen – auch wenn historische Themen ja eigentlich kein Schwerpunkt im „Frischen Wind“ sind (uns seit dem Ausscheiden von Christian Jung aber schlicht ein Geschichtsblog fehlt).


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Die Geschichte der Ausgrabung beginnt – wie auch die der Entdeckung der Himmelsscheibe von Nebra – mit der illegalen Suche nach Artefakten. Im Jahr 2000 sind zwei Sondengänger – Winfried Schütte und Rolf Peter Dix – am Harzhorn – einem Höhenzug im niedersächsischen Landkreis Northeim nahe der Stadt Bad Gandersheim – auf der Suche nach den Überresten einer Burganlage, die dort angeblich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges existiert haben soll. Sie finden mehrere Metallgegenstände, die sie fälschlicherweise für mittelalterliche Artefakte halten – bis sich etliche Jahre später im Rahmen einer Online-Diskussion in einem Forum für Sondengänger herausstellt, dass es sich bei dem vermeintlichen „Kerzenständer“ eventuell um eine sogenannte Hipposandale – einen römischen Hufschutz für Pferde – handeln könnte. Da die illegale Entfernung von archäologischen Artefakten vom Fundort (durch die ja bereits viele Möglichkeiten der Analyse verlorengehen) hart bestraft werden kann, geben die beiden Sondengänger die Fundstücke Anfang 2008 bei der zuständigen Kreisarchäologin des Landkreises Northeim – Dr. Petra Lönne – ab.

Harzhorn

Mit solchen Schildchen werden die archäologischen Fundstellen am Harzhorn markiert.

 

Das niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege zieht bei der Auswertung der Fundstücke auch den Römerexperten Prof. Dr. Günther Moosbauer von der Universität Osnabrück zu Rate, der die Sensation schließlich bestätigt: Es handelt sich um römische Artefakte, gefunden in einer Gegend, in der sich nach damaligem Stand des Wissens nie römische Soldaten aufgehalten haben können, da das Harzhorn selbst während der maximalen Ausdehnung des römischen Reiches nach Norden noch mehr als 500 Kilometer von dessen politischen Grenzen entfernt lag. Vor diesem Hintergrund wird von Experten auch kurz über die Möglichkeit spekuliert, dass sich am Harzhorn verfeindete Stämme mit anderenorts erbeuteten römischen Waffen bekämpft haben könnten – eine Hypothese, die allerdings wieder verworfen wird, als immer mehr römische Artefakte jenseits von Waffenresten (Münzen, Spaten, Schuhnägel etc.) geborgen werden, die überdeutlich machen, dass am Harzhorn einst eine größere römische Truppe vorbeigezogen und dabei in ein Kampfgeschehen verwickelt worden sein muss.

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Kommentare (8)

  1. […] rekonstruierten Schlacht interessiert, ist herzlich dazu eingeladen, meinen ausführlichen Artikel “Das Harzhorn – Ortstermin an einer Jahrhundertfundstelle” auf der Wissenschaftsblogplattform ScienceBlogs.de zu lesen. Wer die Ausgrabungsstätte gerne […]

  2. #2 Quacki
    11. Juli 2013

    Erstmal ein Zahlendreher: Im letzten Absatz sollte 238 stehen. Ansonsten hätte Maximinus Thrax lockere 50 Jahre als Kaiser verbracht 😉

    Ich finde die antike und spätantike Geschichte sehr faszinierend. Und dass dieses Schlachtfeld tatsächlich gefunden wurde, ist sensationell! Wenn ich Zeit habe, schaue ich mir das gerne mal an. In Kalkriese war ich schon 🙂

    Ich habe mir von Peter Heather “Der Untergang des römischen Weltreiches” und “Invasion der Barbaren” zugelegt und lese die beiden Bücher immer wieder gerne.
    Die Römer haben früh (und schmerzhaft) erfahren, dass es sich einfach nicht lohnt, Germanien zu beherrschen. Die Germanen hatten in der Frühzeit keine eigene differenzierte Sozialstruktur, so dass es keinen König gab, über den man indirekt dann die Bevölkerung kontrollieren konnte. Außerdem war die Wirtschaft sehr primitiv, und bis auf wenige Güter (Bernstein, Sklaven, und Verpflegung für den Unterhalt der grenznahen Legionen) gab es nichts, was Germanien irgendwie attraktiv gemacht hätte. Allerdings hat im Laufe der Zeit durch den Kontakt mit dem römischen Reich eine soziale Strukturierung begonnen, und allmählich haben sich größere Einheiten zusammengefunden, die dann auch potentiell gefährlich (durch Raubzüge) wurden. Peter Heather sagt, dass militärische Expeditionen nach Germanien im 4. Jhd sehr gängig waren, ungefähr einmal jede Generation. Diese Aktionen hatten nicht das Ziel, eine direkte Herrschaft über die Region zu errichten, sondern die Germanen auf Linie zu halten, auch durch Ab- oder Einsetzen genehmer Könige.

  3. […] kleinen Nachtrag zu meinem Artikel vom Mittwoch über die archäologischen Ausgrabungen am Harzhorn möchte ich heute noch einmal explizit auf den Podcast “Emperors of Rome” des […]

  4. #4 Christian Reinboth
    12. Juli 2013

    @Quacki: Vielen Dank für den Hinweis – in der Tat ist mir da ein kleiner Zahlendreher unterlaufen, den ich nun aber noch korrigiert habe. Soweit ich mich richtig an den schon lange zurückliegenden Geschichtsunterricht erinnere, kam den regelmäßigen Feldzügen gegen “die Germanen” neben der angesprochenen Kontrolle der dortigen Stämme auch eine intern stabilisierende Bedeutung zu: Kaiser und Feldherren konnten sich durch (teils propangandistisch überhöhte) Siege einen Namen machen und innere Gegner gegen äußere Feinde zusammenschweißen.

  5. #5 Quacki
    12. Juli 2013

    Jo, das stimmt. Viele der Kriege gegen Barbaren hatten eine innenpolitische Komponente, wobei Cäsar ja das beste Beispiel ist. Eine Eroberung Galliens war nicht wirklich geplant, als er aber die damalige Provinz Südgallien übernommen hat, hat er jede noch so kleine Provokation genutzt um nach Norden auszugreifen, bis am Ende die komplette Eroberung stand. Auf diese Weise hat er sich den Ruhm und ergebene, kampferprobte Truppen erworben, um im anschliessenden Bürgerkrieg die Herrschaft zu erlangen. Und bei Heather gibt es auch schöne Beispiele für die spätrömische Propaganda. Der Donauübertritt der ersten Gotengruppen 376 wurde verhandelt, im Gegensatz zum üblichen Vorgehen, nämlich die Gruppen einfach zu besiegen und die Reste dann außerhalb des Reiches anzusiedeln. Die Verhandlungen wurden erzwungen, weil der Kaiser (ich glaube Valens) zur gleichen Zeit eigentlich gegen Persien vorgehen wollte. Für den Übertritt erhielt das Reich Gold und Truppenkontingente. Diese Gewinne wurden dann progandistisch überhöht, um zu überdecken, dass sie eigentlich aus einer momentanen Schwäche des Reiches herrührten. 2 Jahre später führte die Anwesenheit der Goten auf dem Balkan und die Unfähigkeit des Reiches sie zu kontrollieren ja auch zur Katastrophe.

    Danke auch noch für den Link auf die Videos von Adrian Murdoch. Ich zieh sie mir gerade rein 🙂

  6. #6 Christian Reinboth
    13. Juli 2013

    Severus Alexander hat es letztendlich den Kopf gekostet, dass er dieses Prinzip nicht verstanden hat oder nicht verstehen wollte und sich statt dessen den Frieden erkaufte.

    Danke auch noch für den Link auf die Videos von Adrian Murdoch. Ich zieh sie mir gerade rein.

    Die sind wirklich empfehlenswert, da war ich selbst überrascht. Reiner Zufallsfund.

  7. #7 Christian Reinboth
    13. Juli 2013

    Die eigentümliche Motivationsmischung für etliche römische Exkursionen nördlich des Limes aus “die Germanen auf Linie halten” und “Ruhm für die eigene Karriere ernten” wird übrigens hier sehr anschaulich und ausführlich analysiert:

    https://s145739614.online.de/fera/ausgabe13/Wiegels.pdf

  8. #8 Sieg im Sumpf | Archeolinks
    15. Oktober 2013

    […] die Geschichte hinter der Geschichte mutet unglaublich an. Im Jahr 2000 stöberten Freizeitarchäologen auf der Suche nach einer […]