Der von den rebellierenden Soldaten zum neuen Kaiser ausgerufene Heerführer Maximinus Thrax war natürlich bemüht, sich nicht auf gleiche Weise unbeliebt zu machen, weshalb er noch im Jahr seiner Amtsübernahme zu einer Strafexpedition gegen die Alamannen aufbrach (an dieser Stelle sei das hervorragende Alamannenmuseum in Ellwangen nur kurz als Ausflugstipp verlinkt). Tatsächlich ist in den Werken römischer Historiker (so etwa in der Kaisergeschichte “Historia Augusta”) von mehreren erfolgreichen Feldzügen des Maximinus Thrax in Germanien die Rede – eine Angabe, die Historiker lange für eine propagandistische Übertreibung hielten, wie sie in der römischen Geschichtsschreibung gelegentlich zu finden ist. So findet sich etwa bei Tacitus in dessen 98 n. Chr. erschienenem Werk “Germania” nicht ganz ohne Grund der von Sarkasmus triefende Satz „Schon so lange wird Germanien besiegt“, der als Anspielung auf die in Rom propagierten Erfolgsmeldungen verschiedener Kaiser über große Siege in Germanien zu betrachten ist, die sich letztendlich als verlustreich und instabil erwiesen hatten.
Auch der Geschichtsschreiber Herodian berichtet jedoch für die Zeit unter Maximinus Thrax von erfolgreichen Feldzügen in Germanien und einer „Schlacht im Moor“, mit der durchaus der Kampf am Harzhorn gemeint gewesen sein könnte. Die Schilderungen von Thrax Erfolgen im Stammesgebiet erschienen späteren Historikern jedoch so unwahrscheinlich, dass man sogar die Angabe Herodians, Thrax sei mit seinen Truppen 300 bis 400 römische Meilen weit in das Gebiet des Feindes eingedrungen (was in etwa dem Abstand des Limes zum Harzhorn entspräche), nachträglich in die Angabe „korrgierte“, es seien nur 30 bis 40 Meilen gewesen.
„Maximinus drang tief in germanisches Gebiet vor, machte viel Beute und überließ seinen Truppen alles Vieh, dessen man habhaft wurde. Die Germanen indessen hatten die Ebenen und die baumlosen Gegenden geräumt und sich in die Wälder und Sümpfe zurückgezogen, so dass die Kämpfe dort stattfinden würden, wo die dicht stehenden Bäume die Geschosse und Pfeile ihrer Feinde wirkungslos machen sollten, und wo die tiefen Moore die Römer bedrohen würden, die die Landschaft nicht kannten.“ – Herodian 7,2,5–9
Im vergangenen Jahr hatte ich die gerne wahrgenommene Chance, an einer geführten Tour durch das Ausgrabungsareal teilnehmen zu können. Der Grabungstechniker Thorsten Schwarz – einer der Spezialisten, die die Ausgrabungen am Harzhorn quasi von der „Stunde Null“ an durchgeführt haben – führte uns mit viel persönlicher Begeisterung für die noch laufenden Ausgrabungen in den aktuellen Stand der Schlachtrekonstruktion ein und erläuterte, auf Basis welcher Daten und Methoden die moderne Schlachtfeldarchäologie das zeitliche Geschehen eines fast 2.000 Jahre vergangenen Konflikts zu rekonstruieren vermag. Große Bedeutung kommt dabei vor allem den Schuhnägeln sowie den Katapultbolzen und Pfeilspitzen zu.
Bis zu 100 dieser Schuhnägel (die sogenannten caligae) waren in die Sandale eines Legionärs eingeschlagen – und lösten sich auch regelmäßig wieder, so etwa bei längeren Märschen über schwieriges Gelände oder während eines Kampfgeschehens. Römische Soldaten führten daher Ersatznägel mit sich, die sie im abendlichen Marschlager wieder in die Schuhe einschlugen, um die ausgefallenen Nägel zu ersetzen. Schlachtfeldarchäologen können den Ansammlungen von Schuhnägeln auf römischen Schlachtfeldern daher wie einer Spur von Brotkrumen folgen, um festzustellen, in welche Richtung Truppen marschiert sind, wo sie gekämpft haben und wo sie sich schneller oder langsamer bewegen mussten.
Diese Bewegungsprofile lassen sich durch eine Analyse der Abstände und Winkel von in den Boden eingeschlagenen Katapultbolzen (von denen mehr als 100 gefunden wurden) und Pfeilspitzen (viele davon übrigens dreiflügelig und daher vermutlich von persischen Hilfstruppen stammend) vervollständigen. Berücksichtigt man die maximalen Reichweiten der jeweiligen Distanzwaffen, geben größere Häufungen von Geschossen darüber Auskunft, wo die römische Einheit, aber auch wo die germanische Einheit (als Ziel der Attacke) ungefähr gestanden haben müssen und an welchen Stellen die mitgeführten Katapulte aufgebaut wurden. Als besonders faszinierend empfand ich beim Rundgang, dass sich nach so vielen Jahrhunderten sogar noch feststellen lässt, wo einer der römischen Versorgungswagen einen Hang heruntergestürzt oder bei dem Versuch, den Hang zu befahren, auseinandergebrochen ist.
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