Unter Einsatz moderner Geoinformationssysteme lässt sich somit ein erstaunlich genaues Bild des Kampfgeschehens zeichnen. Es verrät, dass die römische Armee wohl aus dem Norden auf dem Weg zurück ins Imperium heranmarschiert ist und das Harzhorn-Areal durch den auch heute noch vorhandenen (und nach wie vor als Straße genutzten) Engpass zu durchqueren suchte. Dieser jedoch war durch germanische Angreifer verstellt oder blockiert, die die Römer zu einem Angriff auf die besetzten Hochpunkte veranlassten, dem wiederum ein Beschuss der dort positionierten germanischen Truppen mit Pfeilen und den mitgeführten Torsionsgeschützen vorausging. Der Kampf, aus dem die Römer siegreich hervorgingen (erkennbar an den Spuren ihres geordneten Weiterzugs nach Süden), dürfte etwa eine bis eineinhalb Stunden lang getobt haben. Die zu vermutende Intention der Angreifer, den Römern keinen Raum für eine geordnete Feldschlacht zu lassen und sie auf unwegsames Gelände zu zwingen, brachte demnach keinen letztendlichen Erfolg. Da sich auf dem Schlachtfeld vor allem römische und kaum germanische Artefakte finden, ist zu vermuten, dass die Römer aufgrund der unklaren Bedrohungslage nach dem Gefecht schnell weiterzogen und somit keine Zeit mehr für die Bergung sämtlicher Waffen und allen Gerätes hatten – ein Glücksfall für die Archäologie.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die am Harzhorn gemachten Funde die gängige Vorstellung des römischen Desinteresses an weiteren Expansionen in germanisches Gebiet nach der verlorenen Varusschlacht und der Strafexpedition des Germanicus klar widerlegen. Auch die der Varusschlacht bis dahin zugeschriebene Bedeutung als historische Zäsur für die weitere Entwicklung der Stämme auf germanischem Gebiet muss vor diesem Hintergrund in Frage gestellt werden. Überhaupt haben ja die meisten römischen Historiker die Varusschlacht nie als die Zäsur gesehen, die spätere Gelehrte daraus gemacht haben. Eine schmachvolle Niederlage ganz gewiss – aber eben längst nicht das Ende aller Ambitionen auf die weitere Ausdehnung der römischen Herrschaft. Das Harzhorn-Areal ist somit gleich auf zweierlei Weise bemerkenswert: Es ist das am besten erhaltene antike Schlachtfeld in ganz Europa – und die dort gemachten Entdeckungen haben dazu geführt, dass die vorherrschenden Ideen über das römische Engagement in germanischem Stammesgebiet erheblich revidiert werden mussten.
Die archäologischen Ausgrabungen am Harzhorn, die unter der Leitung des Prähistorikers Dr. Michael Meyer von der FU Berlin stattfinden, dauern derzeit übrigens weiter an. Im Jahr 2012 kam noch ein weiteres, kleineres Ausgrabungsfeld in unmittelbarer Nähe am Kahlberg hinzu, wo vermutlich der Versorgungstross der durchziehenden Kohorten in ein Gefecht verwickelt wurde. Viele der an beiden Fundstellen geborgenen Artefakte werden übrigens am dem 01.09.2013 in der mit Spannung erwarteten Landesausstellung „Roms vergessener Feldzug: Die Schlacht am Harzhorn“ im Braunschweigischen Landesmuseum zu sehen sein, die ich mir jedenfalls ganz sicher nicht entgehen lassen werde.
Dem Soldatenkaiser Maximinus Thrax war übrigens trotz seiner Erfolge auf dem Feld keine lange Herrschaft beschieden: Im Jahr 238 n. Chr. – und damit nur drei Jahre nach seiner Machtergreifung – wurde Thrax während der Ereignisse des Sechskaiserjahres vom Senat abgesetzt und marschierte daraufhin gegen Rom – welches er vor seiner Regierungszeit übrigens noch nie betreten hatte. In Aquileia wurde er jedoch von Verschwörern aus den eigenen Reihen gemeinsam mit seinem Sohn und designierten Nachfolger ermordet. Sein abgetrennter Kopf soll in Rom öffentlich zur Schau gestellt worden sein.
Verwendete Quellen
Dedio, Florian (Regie): Römerschlacht am Harzhorn – Roms letzter Feldzug nach Germanien, Film, WVG Medien / Polyband, 2010.
Geschwinde, Michael; Haßmann, Henning; Lönne, Petra; Meyer, Michael & Moosbauer, Günther: The Harzhorn Incident. Archaeological research on a late Roman battlefield near Northeim, Lower Saxony, in: Tagungsband der 6th International Fields of Conflict Conference, 15.04. – 18.04.2011, Osnabrück (Abstract).
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