Bereits vor zwanzig Jahren warnte der große Autor und Wissenschaftskommunikator Carl Sagan vor der zunehmenden „scientific illiteracy“ und damit vor einer weitgehend irrational agierenden Gesellschaft, deren kollektive Entscheidungen nicht mehr auf Basis rationaler Überlegungen getroffen werden und die damit anfällig für Manipulationen aller Art ist.
An diese Warnung musste ich am Wochenende wieder einmal denken, als ich diese tragikomische Geschichte aus den USA gelesen habe: Weil ein betrunkener Teenager in Portland durch den Zaun des Mount Tabor-Wasserreservoirs uriniert hat, haben die Stadtwerke den gesamten Reservoirinhalt – 143 Millionen Liter aufbereitetes Trinkwasser – für kontaminiert erklärt und dessen vollständige Entleerung angeordnet. Und es ist nicht das erste Mal, dass in Portland so radikal verfahren wird: Bereits 2011 wurde nach einem ähnlichen Vorfall ein volles Reservoir abgelassen – und das, obwohl die Gegend um Portland schon seit einem Jahrzehnt unter chronischer Trockenheit leidet. Tatsächlich hat die Stadt sogar umfassende Wassertests angeordnet um festzustellen, ob sich in 143 Millionen Liter Wasser Spuren der vielleicht 0,2 Liter Urin nachweisen lassen. Was übrigens – welche Überraschung – nicht der Fall war (hierfür hätte wohl auch nicht nur einer, sondern rund 166.000 Teenager gleichzeitig in das Reservoir urinieren müssen), wodurch sich an der Einschätzung der Verantwortlichen über die Unbrauchbarkeit des Wassers bezeichnenderweise aber nichts geändert hat.
Da man getrost davon ausgehen darf, dass die für die Wasserversorgung der Stadt Portland verantwortlichen Ingenieure sehr wohl wissen, dass es an einem offenen und nur durch einen Maschendrahtzaun geschützten Reservoir täglich zu schlimmeren „Kontaminationen“ – etwa durch Vogelkot, verendete Kleintiere, Insektenlarven, den an der Straße unmittelbar neben dem Reservoir vorbeiziehenden Verkehr oder auch nur durch Regeneintrag – kommt, und dass 143 Millionen Liter Trinkwasser nicht durch den Eintrag minimaler Urinmengen unbrauchbar werden, bleibt nur eine Erklärung für ihr Verhalten: Ganz offensichtlich traut man dem Gros der eigenen Wasserkonsumenten weder zu, diese Überlegung selbst anzustellen noch eine entsprechende Erklärung zu akzeptieren. Da man also schon davon ausgeht, dass viele Abnehmer das Wasser als „verseucht“ betrachten dürften und man wohl auch keine Möglichkeit zu deren Umstimmung sieht, fällt man sozusagen mit in den Chor ein, bestätigt die Fehleinschätzung ganz offiziell durch das Ablassen und nimmt damit auch noch Schäden von immerhin 175.000 Dollar in Kauf.
Dass die Stadtwerke so über ihre eigenen Kunden urteilen mag natürlich auch damit zu tun haben, dass seit 1956 bereits vier Anträge zur Fluoridierung des Trinkwassers in Portland mehrheitlich abgelehnt wurden, weil sich die „Fluor im Wasser verursacht Autismus“-Fraktion gegen die Empfehlung der Amerikanischen Zahnärztevereinigung durchsetzen konnte. Sagans scientific illiteracy at it’s worst – aber immerhin kann man den rein humoristischen Beispielen für die Übertragung homöopathischen Wissens in die reale Welt nach der homöopathischen Notaufnahme und der homöopathischen Klempnerei nun das etwas ernstere Beispiel des homöopathischen Wasserwerks hinzufügen…
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