Wer hier im “Frischen Wind” regelmäßig mitliest weiß, dass mich Fragen der Überlastung sowie der Entlastung von Pflegekräften dank diverser entsprechend ausgerichteter Forschungsprojekte schon lange beschäftigen. Über die Jahre hat sich dabei – auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Zivildienstleistender in einer Pflegeeinrichtung sowie den Erfahrungen meiner Frau und ihrer Freunde und Verwandten, von denen viele in der Pflege tätig sind – bei mir die Erkenntnis manifestiert, dass wir als Techniker und Informatiker mit unseren Entwicklungen zwar zur zeitlichen und organisatorischen Entlastung von Pflegekräften beiträgen können, sich jedoch der erhebliche, in der Pflege herrschende Leidensdruck auch durch wirklich gute Systeme lediglich abmildern, nicht aber beseitigen lässt. Neben besserer Technik werden vor allem mehr Personal, eine bessere finanzielle Ausstattung sowie eine stärkere gesellschaftliche und politische Anerkennung pflegerischer Leistungen zwingend notwendig sein, wenn das Pflegwesen nicht durch Frühverrentungen und Nachwuchsmängel kollabieren soll.
Mit großem Interesse habe ich daher den sogenannten “Pflegestreik” an der Charité sowie die (leider äußerst geringe) mediale Rezeption der Streikgründe verfolgt. Eine äußerst bewegende Erfahrung, die man in diesem Zusammenhang gestern dank sehr vieler hochengagierter und vor allem schonungslos ehrlicher Pflegekräfte auf Twitter machen konnte, wollte ich auch den Nicht-Twitteraktiven unter der ScienceBlogs-Leserschaft nicht vorenthalten. Aus einigen harmlosen Tweets wie diesem
Da die Presse den Pflegestreik ignoriert: Twittert doch alle unter #Pflegestreik, wieso #Pflege wichtig ist und macht es zum Trending Topic.
— Christian Reinboth (@reinboth) 1. Juli 2015
wurde gestern binnen weniger Stunden und dank des unermüdlichen Einsatzes von @pflegenot (unbedingte Folgeempfehlung) eine regelrechte Twitter-Lawine mit mehr als 10.000 Tweets (und zeitweise sogar auf dem ersten Platz der deutschsprachigen Twitter-Trends), in deren Rahmen hunderte Pflegekräfte unter dem Hashtag #Pflegestreik Zeugnis über täglich erlebte Probleme und Mißstände durch Zeit-, Geld-, Personal- und Anerkennungsmangel in der Pflege ablegten. Da die gängigen Online-Leitmedien diesen kollektiven Hilfeschrei bislang leider – im Gegensatz zu vielen anderen Hashtag-Wellen wie etwa #Bahnstreik, #VDS oder auch #Aufschrei – weitgehend ignoriert haben, binde ich nachfolgend eine kleine (und natürlich subjektive) Auswahl von Tweets unkommentiert hier im “Frischen Wind” ein, die die Problemlage meiner Einschätzung nach sehr gut widerspiegeln.
Gatte ist Pfleger in einem Heim für demente, alte Menschen. Nachtdienst heißt 48 Bewohner auf 3 Stockwerken alleine betreuen #Pflegestreik
— Gingerbread (@LilianeKraft) 1. Juli 2015
Ich will als eine gute Fachkraft mit eigenständigen Kompetenzen unabhängig von den Ärzten gesehen werden #Pflegestreik
— Eva Tunyogi-Csapo (@EvaTunyogiCsapo) 1. Juli 2015
Wenn schon die Azubis direkt nach der Ausbildung aufgeben und kündigen, muss man doch merken, dass etwas nicht stimmt?! #Pflegestreik
— Dr. Incompetenzia (@Bettpfanne) 1. Juli 2015
2011. Meine blinde Mutter im KH allein vor einem Teller mit Essen. Keine Hilfe möglich. Unterstützen Sie bitte den #Pflegestreik
— JeroNil (@K38JeroNil) 1. Juli 2015
Andere #Arbeitnehmer lassen sich krank schreiben, #Pflegekräfte werfen sich zwei #Ibu ein, dann geht es weiter… #Pflegestreik
— Trentin (@AnTrentin) 1. Juli 2015
Ist euch bewusst wie oft ihr von unerfahrenen Schülern versorgt werdet weil Sie als Vollzeitkraft gebraucht werden #Pflegestreik
— Dr. Incompetenzia (@Bettpfanne) 2. Juli 2015
@Naddl0r Nicht, dass ich dafür nachts Zeit hätte. Ich mache die Dokumentation dann aber halt während ich mein Frühstück morgens um 6 esse.
— Naddl0r (@Naddl0r) 1. Juli 2015
Ich würde meine Pflegefehler veröffentlichen, aber bisher wird dadurch nur meine Kompetenz in Frage gestellt, nicht das System hinterfragt.
— Naddl0r (@Naddl0r) 1. Juli 2015
Mein Gewissen interessiert es mehr als den Klinikvorstand, dass ich jeden Tag Pflegefehler aufgrund von Zeit- und Personalmangel begehe.
— Naddl0r (@Naddl0r) 1. Juli 2015
So viele Pflegekräfte sind schon gescheitert und haben ihre Ideale verloren. Ich habe Angst, dass mir das auch passiert. #Pflegestreik
— Fuchsmädchen (@fernwehliebe) 1. Juli 2015
Drei schwerkranke Patienten, eine Schülerin zum Anlernen, Schichtleitung. Einfach zuviel. #Pflegestreik
— doppelleben (@hochfrequent) 1. Juli 2015
Auf meiner Neugeborenen- u. Kinderintensivstation könnten wir 16 Patienten versorgen. Personal haben wir nur für 10. #Pflegestreik
— doppelleben (@hochfrequent) 1. Juli 2015
Wenn ich nach 10 stündiger OP ein Kind übernehme, will ich nicht noch 2 schwerkranke Kinder nebenher versorgen. #Pflegestreik
— doppelleben (@hochfrequent) 1. Juli 2015
Eine Auszubildende im ersten Lehrjahr allein mit einer Hilfskeule zuständig für 28 überwiegend demente Menschen. #Pflegestreik
— Madame Hummelchen (@mdeHummelchen) 1. Juli 2015
“Kannst du die Woche noch arbeiten?” – “Um welche Schicht geht’s denn?” – “Freie Wahl, uns fehlt in jeder Schicht jemand.” #Pflegestreik
— Insa (@Insaaaaaa) 1. Juli 2015
Wenn dir gründliches Reinigen verboten wird, weil “es zu lange dauert”. #Pflegestreik (Ja, ich hab auch mal im Seniorenheim gearbeitet!)
— PunkMetalOma™ Elke (@PunkMetalOma) 1. Juli 2015
Schon mal geweint, weil man den eigenen Anspruch an sich selbst, in Bezug auf würdevolle Pflege, nicht mehr halten kann? #Pflegestreik
— Nestwick (@nestwick) 1. Juli 2015
Die Familie ne Woche lang nur schlafend sehen, aufgrund der Schichtarbeit. Wer macht das schon mit für den Lohn? #Pflegestreik
— Dr. Incompetenzia (@Bettpfanne) 1. Juli 2015
Ich arbeite gerne in der Pflege.Aber schon jetzt in der Ausbildung mach ich mir Gedanken ob ich länger als 2 J. im Beruf bleib #Pflegestreik
— S. in dead Dreams (@KaeferKriegerin) 1. Juli 2015
In 14 Tagen nur einen Tag frei haben, sowas ist normal #Pflegestreik
— S. in dead Dreams (@KaeferKriegerin) 1. Juli 2015
Im Café saß eine Auszubildende mit dem Rücken zu mir und erzählte, warum sie sich im Dienst stundenlang auf WC einsperrt. #Pflegestreik
— eLa (@relativ_nett) 1. Juli 2015
Überhaupt schon mal gerontopsychiatrisch veränderte Personen betreut? Ohne vernünftiges Zeit- und Qualitätsmanagement? #Pflegestreik
— Nestwick (@nestwick) 1. Juli 2015
Wenn unsere FSJ’ler/innen eine Ausbildung im Krankenhaus machen wollen, rate ich ihnen immer davon ab. #Pflegestreik
— Pumpelchen (@eulenschwester) 1. Juli 2015
Schon mal einen Spätdienst als Pflegehelfer mit einer Auszubildenden gemacht und die Verantwortung für 24 Menschen getragen? #Pflegestreik
— Nestwick (@nestwick) 1. Juli 2015
2 Pflegekräfte zuständig für 110 Bewohner in der Nachtwache. Da ist gute Versorgung garantiert. Nicht! #Pflegestreik
— ◅ᎡockimBart▻ (@RockimBart) 1. Juli 2015
Schon mal einen Dekubitus behandelt, weil niemand Zeit hatte, sich um eine ausreichende Lagerung und Mobilisation zu kümmern? #Pflegestreik
— Nestwick (@nestwick) 1. Juli 2015
Kennen Sie eine Pflegekraft, die ohne Sorge um ihre Patienten die Klinik verlässt? #Pflegestreik
— Proseccojule© (@Prossecojule) 1. Juli 2015
Als Begleitperson bei einem familiären Notfall die Infusion legen,weil die Kollegen in der Ambulanz nur zu Zweit waren. #Pflegestreik
— Madame Hummelchen (@mdeHummelchen) 1. Juli 2015
Zwei Etagen á 16 Bewohner_innen, Samstag Frühschicht, nur eine APH & ich, damals 16jähr. FSJ-lerin, für 32 Pflegebedürftige. #Pflegestreik
— Morwen (@Evefuryja) 1. Juli 2015
20 Patienten alleine versorgen und dabei ist ein Patient dabei, der eine 1:1 Betreuung hat. Da stimmt was nicht. #Pflegestreik
— Fuchsmädchen (@fernwehliebe) 1. Juli 2015
#Pflegestreik ist wenn eine 45kg Kollegin einen 160kg Patienten mobilisieren muss. Und er darauf sagt “Selbst schuld”
— Wieland Rose (@WielandRose) 1. Juli 2015
…und sagt am Ende nicht, wir hätten nichts gesagt! #Pflegestreik
— Mme ρℓαιѕιяchen (@einFraeulein) 1. Juli 2015
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