Am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – und durch die für solche Fragen höchste Instanz – wurde heute über die Aberkennung eines Doktortitels durch die Technische Universität Freiberg entschieden. Die TU hatte einem promovierten Ingenieur nachträglich den Titel entzogen, da dieser zu Beginn der Promotionszeit durch eine Trickserei bei der Beantragung seines polizeilichen Führungszeugnisses eine kürzlich erfolgte Verurteilung zur einer Bewährungsstrafe wegen sexueller Nötigung verschleiert hatte. Als diese der TU nachträglich nun doch noch bekannt wurde, erkannte man dem ehemaligen Doktoranden den Titel wieder ab, da man die Verschleierung der Vorstrafe als “arglistige Täuschung” über die Zulassungsvoraussetzungen bewertete. Mehrere Gerichte beurteilten diese Entscheidung als korrekt – das Bundesverwaltungsgericht als finale Instanz hob die Aberkennung des Titels heute jedoch wieder auf. Unabhängig von der Frage, wie man diesen ganz konkreten Fall bewertet, ließ mich ein Teil der Urteilsbegründung ganz besonders aufhorchen:
Eine Straftat dürfe in so einem Fall nur dann eine Rolle spielen, wenn sie einen Bezug zur Wissenschaft aufweise. Zum Beispiel könne man von jemandem, der das Urheberrecht verletzt habe, wohl nicht erwarten, dass er sauber wissenschaftlich arbeitet, erläuterte der Vorsitzende Richter des 6. Senats, Werner Neumann. Es gehe um die Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses.
Eine Vorstrafe wegen einer Urheberrechtsverletzung – die immerhin nicht einmal unbedingt etwas mit wissenschaftlicher Arbeit zu tun haben muss, sondern auch einem illegalen Download geschuldet sein könnte – ist somit ausreichend, um einen Kandidaten von der Promotion auszuschließen oder diese im Falle eines Verschweigens noch nachträglich abzuerkennen – eine Vorstrafe wegen sexueller Nötigung dagegen nicht? Auch wenn sich mir die Logik dieser inhaltlichen Verknüpfung zwischen Vorstrafe und wissenschaftlicher Tätigkeit durchaus erschließt, scheint mir die sich aus diesem Urteil letztendlich erwachsene Konsequenz – der Raubkopierer wird nicht zur Promotion zugelassen, während der Nötiger nicht abgelehnt werden kann – gerade vor dem Hintergrund des nach wie vor erheblichen Frauenmangels in der Wissenschaft (und insbesondere im hier betroffenen MINT-Bereich) fatal zu sein. Persönlich finde ich es daher durchaus bedauerlich, dass der Universität nicht gestattet wurde, hier eigene, höhere Standards an die (charakterliche) Eignung von Doktoranden/innen durchzusetzen.
Was denken die ScienceBlogs-Leserinnen und -Leser? Ein gutes oder ein schlechtes Urteil?
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