Seit der durchwachten Nacht auf Mittwoch, gehen mir im Hinblick auf den Ausgang der US-Wahl vor allem drei Dinge durch den Kopf, die ich hier gerne – unzusammenhängend – mit euch teilen möchte.
Erstens: Der internationale Klimaschutz muss vollkommen neu aufgestellt werden
Eine Trump-Präsidentschaft mag zwar nicht das Ende der Welt bedeuten – für die weltweiten Klimaschutzbemühungen ist das Wahlergebnis jedoch eine Zäsur. Sowohl auf der Basis von Trumps Versprechungen im Wahlkampf (u.a. Rückkehr zur Kohlewirtschaft und Ausbau der Keystone-Pipeline) als auch angesichts der lautstarken “Klimaskeptiker” in seinem engeren Wahlkampfzirkel (allen voran Jeff Sessions und Rudy Giuliani) ist davon auszugehen, dass die Vereinigten Staaten sich in den kommenden Jahren aus dem Kampf gegen den Klimawandel zurückziehen werden. Da die politische Entmachtung der US-Demokraten absolut ist – sie verlieren nicht nur das Weiße Haus, sondern verpassen auch die Mehrheit im Kongress und im Senat, was mittelfristig wiederum mehr konservative Berufungen an den Supreme Court nach sich ziehen wird – dürfte der Energie- und Umweltpolitik einer Trump-Administration kaum nennenswerter Widerstand entgegenschlagen.
Die US-Klimaziele der Zukunft werden somit wohl von Leuten wie James „Solange es noch schneit, gibt es keine globale Erwärmung“ Inhofe und Sarah „Drill Baby, drill“ Palin formuliert werden (die derzeit übrigens ernsthaft als Umweltministerin im Gespräch ist). Je nachdem, wie radikal die Kehrtwende in den USA letztendlich ausfällt, wird sich der Rest der Welt umorientieren müssen. Wenn die größte Wirtschaftsmacht aus dem Klimaschutz aussteigt – und die zweitgrößte Wirtschaftsmacht ihr dabei möglicherweise folgt – ist das Zwei-Grad-Ziel nicht zu halten, ganz egal wie viele Energiesparbirnen wir hierzulande einschrauben oder wie viele Fensterläden wir energetisch sanieren. Es dürfte sich damit die Frage stellen, ob die Ressourcen, die wir derzeit noch in den Klimaschutz investieren, nicht zunehmend in die Klimaanpassung gesteckt werden müssten – eine Frage, die nicht nur hierzulande noch für emotionale Diskussionen (besonders mit vielen überzeugten Klimaschützern) sorgen wird.
Zweitens: Die Niederlage der Demoskopen ist ein neues „Literary Digest Desaster“
Die legendäre Fehlprognose der Zeitschrift “Literary Digest”, die 1936 einen Erdrutschsieg des Republikaners Alfred Landon über Amtsinhaber Franklin D. Roosevelt voraussagte („Landon in a landslide“) gehört heute zum Standardrepartiore jedes Grundkurses in Statistik, Markt- oder Meinungsforschung. Sie dient dort insbesondere zur Illustration zweier Prinzipien: (1) Auch ein besonders großer Stichprobenumfang ist kein Garant für die Aussagekraft einer Erhebung, wenn die Erhebungsmethodik strukturell fehlerbehaftet ist. (2) Selbstselektive Umfragen sind für Wahlprognosen grundsätzlich nicht zu gebrauchen. 80 Jahre später darf sich nun eine neue Generation von Statistikern mit der durchaus spannenden Frage befassen, was diesmal falsch gelaufen ist. Die gerade in den deutschen Medien vielfach geäußerte Mutmaßung, hier habe der Effekt der sozialen Erwünschtheit – ein Proband gibt aus Scham keine ehrliche Antwort, sondern antwortet so, wie es gefühlt von ihm erwartet wird – zugeschlagen, teile ich ausdrücklich nicht: Der Effekt ist seit Jahrzehnten bekannt, wurde umfassend erforscht und findet daher auch Eingang in jede professionelle Prognostik.
Eine plausiblere Erklärung scheint mir derzeit das strukturelle „undersampling“ von Personengruppen zu sein, die in der Wählerschaft sonst unterrepräsentiert sind. Da die Demoskopen wissen, dass nur etwa die Hälfte der Wahlberechtigten an einer Wahl teilnimmt (das war auch dieses Jahr wieder so: 46% Nichtwähler, 26% Trump, 26% Clinton), ist ihr Ziel nicht eine repräsentative Erhebung unter allen Wahlberechtigten, sondern vielmehr eine repräsentative Erhebung unter denjenigen Wahlberechtigten, die am Ende auch tatsächlich zur Wahl gehen. Dies führt dazu, dass Gruppen, die sich sonst eher weniger stark an Wahlen beteiligen, auch in den Prognosen weniger stark berücksichtigt werden – was aber natürlich nur so lange funktionieren kann, wie nichts die „Wahlmüdigkeit“ dieser Gruppen ändert. Genau das scheint mir dieses Jahr passiert zu sein – da gleichzeitig jedoch die Wahlbeteiligung im Verhältnis zu 2012 nicht zugenommen hat, würde dies bedeuten, dass in diesem Jahr mehr „traditionelle“ Wähler zu Hause blieben, während gleichzeitig mehr „Wahlmüde“ zu den Urnen strömten. Ob dieser Effekt letztendlich der ausschlaggebende Faktor für das demoskopische Versagen gewesen ist, wird nun sicher Gegenstand zahlreicher Untersuchungen werden – als Statistiker bin ich hier ehrlich gespannt.
Drittens: Mit populistischen Erfolgen ist auch zur Bundestagswahl zu rechnen
Der Wahlerfolg Trumps unterstreicht, was sich auch schon in anderen Wahlergebnissen der vergangenen Jahre abgezeichnet hat: Ein Teil der wählenden Bevölkerung in den westlichen Industriestaaten ist offen für einen gewissen faktenresistenten „Bauchgefühl“-Populismus – selbst wenn man dafür westliche, christliche oder sonstige Werte verleugnen muss, die die gleichen Wählergruppen sonst bei jeder Gelegenheit wie eine Monstranz vor sich hertragen. Auch für die Stabilität unseres eigenen politischen Systems stellt diese Entwicklung eine grundsätzliche Bedrohung dar, wie insbesondere die Wahlerfolge der AfD in den vergangenen Monaten gezeigt haben. Hier in Sachsen-Anhalt mussten wir im März dieses Jahres erleben, dass AfD-Kandidaten, die über keinerlei politische Erfahrung oder aber geeignete berufliche Qualifikationen verfügen und die im Grunde nicht mal Wahlkampf betrieben haben (einer der größten Vorwürfe gegen Trump aus den eigenen Reihen war ja das fehlende „ground game“, das ihm aber offenbar wenig geschadet hat), Direktmandate im Landtag erringen konnten.
Der teils unbegründete, teils aber leider auch begründete Frust vieler Bürgerinnen und Bürger mit der etablierten Politik, ist auch in unserem Land erheblich. Ein Kreuz für eine „politische Abrissbirne“, der man zwar wenig zutraut, die aber wenigstens das verhasste „System“ erschüttern würde, erscheint da vielen als attraktive Alternative. Hierauf müssen wir uns zur Bundestagswahl in zehn Monaten schon heute mental vorbereiten und darüber nachdenken, wie das weitere gedeihliche Zusammenleben in diesem Land langfristig gesichert und die Macht des Populismus wirksam begrenzt werden kann.
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