Löchrige Membranen
Nicht alle Protonen, die durch die Membran nach Außen gepumpt wurden, erzeugen beim Zurückkehren ATP. Einige Protonen “mogeln” sich durch die Membran hindurch, ohne dabei eine ATP-Batterie aufzuladen, die Membran lässt die Protonen “einfach so” nach Innen, sie ist also “löchrig”. Die Energie der Protonen wird dabei direkt als Wärme freigesetzt. Es wird also Zucker verbrannt, um die Protonen nach Außen zu pumpen, aber der Körper hat zunächst einmal nichts davon, denn es wird kein ATP erzeugt, sondern nur Wärme. Das ganze ist also scheinbar reine Verschwendung und jedes Mitochondrien mit einer anständigen Arbeitsmoral sollte wohl zusehen, seine Membranen so zu organisieren, dass so eine Schlamperei nicht vorkommt.
Nachtrag: In den Kommentaren wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass dieses “Durchmogeln” ein durchaus aktiver Prozess ist, der durch spezielle “Uncoupling”-Proteine vermittelt wird. Es ist also nicht so, dass die Membran echte Löcher wie ein Schweizer Käse hätte (so hatte ich es nicht gemeint, aber ich sehe, dass man es dank meines plakativen Ausdrucks “mogeln” so missverstehe kann). Generell werden Membranen im Biochemiker-Sprachgebrauch anscheinend als “leaky” bezeichnet, wenn sie für bestimmte Moleküle durchlässig sind; der Begriff ist also nicht abwertend (im Sinne von: Membran ist kaputt) zu verstehen. Ich hoffe, damit ist die Sache etwas klarer.
Dank an alle Kommentatoren, die mich darauf hingewiesen haben.
2. Nachtrag: Jürgen Bolt und Balanus haben mir in den Kommentaren noch einmal auf die Sprünge geholfen.
Ein proton hat also drei Möglichkeiten, um wieder ins Matrixinnere zu kommen:
1. Geführt von der ATP-Synthase, wobei ATP erzeugt wird. Das ist das Aufladen der Batterie.
2. Geführt durch die im ersten Nachtrag angesprochenen “uncoupling proteins”.
3. Durch die Membran, die aufgrund ihrer Lipid-Struktur mehr oder weniger durchlässig
sein kann.
Jürgen Bolt schreibt untern zu Weg 3:
Nach Deiner Quelle geben die rückfließenden Protonen ihre Energie teils in der Membran und teils in der Matrix ab. Wenn mehr mehrfach ungesättigter Fettsäuren in der Membran vorhanden sind, dann geben sie mehr Energie in der Membran ab. Dadurch erhöhen sie die metabolische Aktivität der Membran. Der Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren in der inneren Mitochondrienmembran ist bei Endothermen höher als bei gleich großen Ektothermen, und korreliert bei Säugetieren positiv mit der Körpermasse.
Nochmal danke für die Präzisierungen.
Tatsächlich sind die “löchrigen Membranen” (das ist meine eigene Übersetzung für “leaky membranes” – falls ein Biologe mitliest, wüsste ich gern, wie man das im Deutschen standardmäßig ausdrückt) aber vermutlich der Schlüssel zur Warmblütigkeit. Etwa 20% des Energieverbrauchs von Säugetieren geht dafür drauf, Protonen durch die Membran im Mitochondrium nach Außen zu pumpen, die sich dann wieder zurückmogeln, ohne ATP zu erzeugen. Zusätzlich gibt es noch weitere Ionenkanäle, die bei Endothermen wesentlich durchlässiger sind als bei Ectothermen, und das Hin- und Herpumpen von Protonen, Calcium- und Natrium-Ionen macht bei Säugetieren etwa 50% des gesamten Energieumsatzes aus – der Einfachheit halber beschränken wir uns hier aber auf die Protonenpumpen.
Wozu sind löchrige Membranen gut?
Aber wozu ist diese unglaubliche Energieverschwendung gut? Wie hat sie sich entwickelt? Müsste nicht jedes Reptil, dessen Membranen (vermutlich durch eine Veränderung der Fettmoleküle in den Membranen) “löchrig” werden, einen unglaublichen selektiven Nachteil haben, weil es mehr Nahrung benötigt als seine sparsamere Konkurrenz?
Tatsächlich hat die löchrigere Membran aber auch einen direkten Vorteil: Je höher die “Löchrigkeit” der Membran, desto höher ist anscheinend auch die maximale ATP-Produktion, die ein Mitochondrium leisten kann. Mitochondrien mit löchrigeren Membranen haben einen höheren Grundumsatz (weil sie für die gleiche menge an ATP ja mehr Protonen pumpen, also mehr Zucker verbrennen müssen). Dadurch ist auch die maximale ATP-Produktion dieser Mitochondrien höher, wobei die Details, warum genau das so ist, noch nicht geklärt sind.
Ein Tier mit löchrigen Membranen kann deshalb schneller auf einen hohen Energiebedarf reagieren und insgeamt mehr Energie erzeugen. Das ist zunächst für Ausdauerleistungen wichtig – im Sprint sind Eidechsen genauso schnell wie Säugetiere, aber lange Strecken können sie nicht zurücklegen. Für den Sprint verlassen sie sich (wie wir übrigens auch) auf die sauerstofflose Zersetzung von Zucker (anaerobe Glykolyse), bei der die Protonenpumpe keine Rolle spielt. Dauerhaft eine hohe Rate an ATP durch aerobe Verbrennung zu erzeugen, fällt ihnen allerdings schwer. Wer also Ausdauerleistungen erbringen will, der fährt mit löchrigen Membranen trotz der Energieverschwendung besser.
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