Der dritte Versuch
Wen man sich unseren zweiten Versuch ansieht, dann fällt auf, dass das Magnetfeld seinen größten Wert an einer anderen Stelle hat als das elektrische Feld. Wenn am Anfang schon ein Magnetfeld dagewesen wäre, das sein Maximum an derselben Stelle hat wie das elektrische Feld, dann wäre das Magnetfeld links kleiner und rechts größer geworden, sein Maximum wäre nach rechts gewandert!
Vielleicht sollten wir mit einem elektrischen und einem magnetischen Feld zusammen anfangen?
Versuchen wir es. Damit es nicht so unübersichtlich wird, zeichne ich links das elektrische und rechts das magnetische Feld hin, eigentlich muss man sich die beiden Teilbilder jeweils übereinander vorstellen, aber dann erkennt man auf dem Papier nichts mehr.
Also: Links ein einzelner “Berg” für ein elektrisches Feld in x-Richtung. Da dessen Rotation in y-Richtung zeigt, fange ich rechts im Bild mit einem Berg in y-Richtung für das Magnetfeld an. Und los geht’s:
Die Rotation des elektrischen Feldes sieht genauso aus wie im zweiten Versuch, wie man links in der zweiten Zeile sieht. Rechts in der zweiten Zeile sieht man die Rotation des Magnetfeldes, die (bis auf das a) gleich dE/dt ist. Wenn man mit der Korkenzieherregel richtig aufpasst, sieht man, dass die Änderung des elektrischen feldes links in -x-Richtung (auf den Betrachter zu) und rechts in +x-Richtung (vom Betrachter weg) zeigt.
Jetzt müssen wir die Änderung des Magnetfeldes (zweite Zeile links) zum Magnetfeld (erste Zeile rechts) addieren und bekommen das neue Magnetfeld (dritte Zeile rechts): Links von der Mitte wird das Magnetfeld kleiner, rechts von der Mitte wird es größer: Der Berg wandert nach rechts! Für das elektrische Feld geht das genauso (zweite Zeile rechts zur ersten zeile links addieren): Auch hier wird die Feldstärke links von der Mitte verkleinert, rechts von der Mitte vergrößert, auch hier wandert der Berg nach rechts.
Vergleicht man die dritte Zeile mit der ersten, sieht sie genauso aus, nur ein wenig nach rechts verschoben: Unser Berg bewegt sich! (Den passenden Kalauer mit Propheten und Bergen darf sich hier jeder selbst dazudenken…)
Anmerkung für alle, die ganz genau hingeguckt haben: Ja, ich habe ein bisschen geschummelt. Genau am höchsten Punkt des Berges ist die Änderung des Feldes ja immer gerade Null – also scheint sich die Bergspitze doch nicht bewegen zu können! Das ist prinzipiell auch richtig – rechts vom Berg erhöht sich der Wert, links vom Berg verringert er sich, aber der Berg selbst bleibt zunächst auf seinem Wert. Erst wenn man noch einen zweiten Schritt macht (von “gleich” auf “gleich nach gleich”), dann verschiebt sich das Maximum wirklich. (Mathematiker sehen natürlich sofort, dass das daran liegt, dass am Maximum die erste Ableitung verschwindet.)
Wenn wir jetzt mehrere solcher Berge (und passende Täler) hintereinanderzeichnen, dann sieht das etwa so aus (Bild von Wikipedia, die können besser zeichnen als ich, allerdings haben sie E und B um 90Grad verdreht…)
By SuperManu – Self, based on Image:Onde electromagnetique.png, CC BY-SA 3.0, Link
Mit mehreren Bergen hintereinander funktioniert das Spiel genauso wie vorher, auch diesmal wird jeder Berg (und jedes Tal) nach rechts verschoben. Man nennt dieses Gebilde eine elektromagnetische Welle.
Ohne viel Mühe ist es uns also gelungen, mit unseren beiden Maxwellgleichungen zu zeigen, dass es elektromagnetische Wellen geben kann (wie man sie erzeugt, ist eine andere Frage…). Mit ein bisschen Rechnerei kann man die Formeln auch verwenden, um die Geschwindigkeit zu berechnen, mit der sich die Welle ausbreitet. Sie hängt mit der ominösen Zahl a zusammen: Nennen wir die Geschwindigkeit c, dann gilt c2=1/a. c ist die Geschwindigkeit, mit der sich eine EM-Welle ausbreitet, also die Lichtgeschwindigkeit. Wir können unsere zweite Maxwellgleichung besser schreiben als
rot B =(1/c2) dE/dt
Wer sich die Zeichnung oben und die Maxwellgleichungen noch einmal ansieht, der merkt, dass die Wellenausbreitung nur klappt, weil hier alle Teile der Formel fein aufeinander abgestimmt sind – ohne das Minuszeichen an der ersten Formel beispielsweise würde der Berg des magnetischen Feldes nach links laufen, der des elektrischen Feldes nach rechts – ein wirres Durcheinander wäre die Folge, aber keine schöne Welle. Dieses subtile Ineinandergreifen der einzelnen Formelteile ist ein Grund, warum Physiker die Maxwellgleichungen als “schön” empfinden. (Bei mir selbst war es so, dass ich enttäuscht war, als ich die vollen Gleichungen das erste Mal sah – erst als ich die Herleitung für die EM-Welle sah, hatte ich eine erste Idee, warum die Gleichungen “schön” sein sollen.) Ein weiterer Grund ist, dass man mit den Gleichungen unglaublich viele Phänomene erklären kann – ein paar davon werden uns später noch begegnen.
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