Danke an alle, die seit gestern Abend bei meinem kleinen Experiment mitgemacht haben. Die Kreativität der Namen und Einfälle (ich sage nur “Nikolaus Fürchtegott Schüttelbaum”) war wirklich super.
Leider muss ich Euch gestehen, dass ich Euch aufs Glatteis geführt habe: In diesem Experiment ging es um ganz etwas anderes.
Drüben bei ali tobt ja seit ein paar Tagen die Debatte um die politische Korrektheit. Zwischen drin ging es dabei auch um die Frage, in wie weit die deutsche Sprache selbst sexistisch ist. Mit meinem kleinen Experiment wollte ich genau diese Frage untersuchen.
In einem Kommentar dort war zu lesen
jeder weiß, dass “fußgänger” menschen sind, die zu fuß unterwegs sind. menschen sind frauen und männer und kinder. niemand erwartet beim wort “fußgänger” nur männliche passanten.
Ein anderer Kommentator sagte
Wie ich bereits oben erwähnt habe, ist erstens in der deutschen Sprache Genus (grammatisches Geschlecht) nicht gleich Sexus (natürliches Geschlecht).
Diese Behauptungen wollte ich mit meinem kleinen Experiment auf die Probe stellen. Wenn es stimmt, dass “Fußgänger” kein natürliches Geschlecht impliziert und dass jeder weiß, dass damit ein Mann oder eine Frau gemeint sein kann, dann sollte dasselbe sicher auch für das Wort “Radfahrer” gelten.
Das Ergebnis ist ziemlich eindeutig ausgefallen: Nach 84 Kommentaren stand es 8:77 (zwei Namen waren gedoppelt, ein Kommentator hat 4 Namen genannt). Nur etwa jeder zehnte Kommentator war also der Ansicht, dass ein beliebiger “Radfahrer” eine Frau sei – wäre die deutsche Sprache wie behauptet geschlechtsneutral, hätte eigentlich ja jeder zweite Name ein weiblicher sein sollen.
Zwei Dinge lassen sich sicherlich gegen dieses Experiment einwenden:
Ich gebe zu, dass im zitierten Kommentar oben das Wort “Fußgänger” im Plural auftauchte, mein Experiment aber notwendigerweise im Singular durchgeführt wurde – ich glaube aber nicht, dass es am Ergebnis viel geändert hätte, wenn ich nach den Namen von zwei Radfahrern gefragt hätte. Im übrigen werden viele Texte ja auch mit singulärer Form abgefasst: “der Nutzer”, “der Student” etc. – der Sexismus des Singulars wurde mit dem Experiment aber ja ziemlich klar demonstriert.
Zweitens ist anscheinend der Anteil männlicher Kommentatoren ebenfalls wesentlich höher als der der weiblichen, aber zumindest “Frau Sokol” und Andrea Thun, die beiden dem Namen nach einzigen eindeutig weiblichen Kommentatoren, haben sich auch beide für einen männlichen Namen entschieden.
Im weiteren Verlauf der Diskussion bei ali wurde gesagt
Sprache dient der Kommunikation von Sachverhalten und schafft natürlich keine Realitäten.
Dieses kleine Experiment zeigt hoffentlich, dass man es sich so einfach nicht machen kann: Personenbezeichnungen mit maskulinem Geschlecht erzeugen in unseren Köpfen anscheinend sofort das Bild eines Mannes – der “Default-Wert” für einen Menschen ist ein Mann. Diese Bilder in unseren Köpfen beeinflussen natürlich auch unsere Sichtweise der Dinge.
Wenn ich also in einem Text “der Wissenschaftler” schreibe, dann kann ich damit rechnen, dass ein Großteil meiner Leserinnen und Leser dabei implizit einen männlichen Wissenschaftler annimmt.
Natürlich kann man diese Frage auch etwas wissenschaftlicher untersuchen als ich es mit diesem nicht repräsentativem Mini-Experiment gemacht habe. Für die englische Sprache gibt es hierzu ziemlich viel, für die deutsche Sprache habe ich nur wenig gefunden.
Aber beispielsweise kommt diese Veröffentlichung zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Es wurden unterschiedliche Experimente durchgeführt. In einem davon wurden 96 Personen nach ihrem liebsten Romanhelden bzw. geschlechtsneutral ihrer liebsten Romanfigur gefragt – im ersteren Fall wurden statistisch signifikant mehr männliche Namen genannt. Mit diesem und weiteren Tests kommen die Autorinnen zu dem Schluss:
Der Gebrauch des generischen Maskulinums im Deutschen kann ähnlich wie im Englischen dazu führen, dass Frauen gedanklich in geringerem Maße einbezogen oder repräsentiert werden
Und nun?
Was soll jetzt daraus folgen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.
Die deutsche Sprache ist ungleich schwerer geschlechtsneutral zu gestalten als die Englische. Lösungen wie Doppelnennungen “Der/die Physiker/in führt seine/ihre Experimente durch” sind nicht wirklich lesbar.
Binnen-Is funktionieren im Zusammenhang mit Artikeln auch nicht so gut: “Der/die PhysikerIn führt ihre/seine Experimente” hilft nicht wirklich weiter, selbst neutrale Hauptworte helfen nicht viel: “Der/die Physikbetreibende…”
Dass man für eine Problem keine Lösung hat, sollte aber kein Grund sein, es zu leugnen oder zu ignorieren. Vielleicht werde ich hier im Blog mit unterschiedlichen Möglichkeiten experimentieren (wie wäre es zur Abwechslung mit “in diesem Text schließt die weibliche Form die männliche ein”?).
Damit das ganz klar ist: Ich werfe niemandem, der im Experiment einen männliche Namen vorgeschlagen hat, vor, sexistisch zu sein. (Ich bin mir sehr sicher, dass ich auch einen männlichen Namen gewählt hätte.) Die deutsche Sprache suggeriert bei Worten wie “Radfahrer”, “Physiker” oder “Wissenschaftler” nun mal, dass die gemeinte Person männlich ist. Die Sprache ist es (in diesem Fall), die uns sexistisch denken lässt.
Ich danke nochmal allen, die sich beteiligt haben und ich entschuldige mich dafür, dass ich Euch ein bisschen reingelegt habe.
Kommentare (520)