Und wie erklären wir nun unser Experiment? Ein langgezogenes Gummimolekül kann nicht so gut hin- und herschwingen wie ein aufgeknäultes. Vor dem In-die-Länge-Ziehen wackelte und zitterte das Kettenmolekül hin und her. Die Energie dieser Zitterbewegung muss aber irgendwo bleiben, wenn ich das Molekül strecke. Natürlich kann auch das gestreckte Molekül noch immer thermisch zittern, nur nicht so gut. Die Energie verteilt sich jetzt also auf weniger mögliche Zitterbewegungen, und da die Energie erhalten bleibt, müssen diese deshalb heftiger werden. Die Temperatur steigt an.
Wenn man das vornehmer ausdrücken will (und das will man ja, weil man dann so irre gebildet klingt), kann man sagen: Durch das Strecken des Moleküls verringert sich die Zahl der Freiheitsgrade (die Anzahl aller möglichen Zitterbewegungen) im System. Die Energie verteilt sich deshalb auf weniger Freiheitsgrade und die Temperatur steigt an.
Beim Loslassen passiert genau das Gegenteil: Plötzlich haben die Moleküle viel mehr Möglichkeiten, thermisch zu zittern. Diese neu hinzugekommenen Freiheitsgrade beziehen ihre Energie jetzt von den anderen, so dass die Temperatur sinkt.
Den Trick, ein System abzukühlen, indem man neue Freiheitsgrade hinzugibt, nutzt man auch technisch bei der sogenannten adiabaten Entmagnetisierung: Dabei wird ein magnetisches Material bei niedriger Temperatur (z.B. in einem Bad aus flüssigem Helium, das hat etwa 4K) in ein Magnetfeld gebracht. Die Elementarmagnete im Material richten sich entsprechend dem Magnetfeld aus. Man wartet, bis das System auf Umgebungstemperatur abgekühlt ist, isoliert es dann (so dass es sich abkühlen kann) und schaltet das Magnetfeld dann aus. Die vorher vom Magnetfeld festgehaltenen Elementarmagnete sind jetzt frei, thermisch zu schwingen, was sie vorher nicht konnten. Die Energie dazu holen sie sich aus den Schwingungen der Atome und das Material kühlt sich ab. Man kann damit Materialien auf Temperaturen im Millikelvin-Bereich abkühlen, das ist schon ziemlich frostig.
Man sieht, dass die Entropie nicht bloß eine irgendwie abstrakte Rechengröße ist, sondern ganz handfeste Auswirkungen hat – jedesmal, wenn man ein Gummiband dehnt.
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