Wenn ein Gänseei aus dem Nest kullert, dann rollt die Gans das Ei vorsichtig wieder in ihr Nest zurück. Anscheinend macht es Eiern nichts aus, wenn sie gedreht werden. Ich war deshalb sehr überrascht, als ich neulich in einer Fernsehsendung sah, wie ein Zoowärter vorsichtig Reptilieneier in eine Brutkammer legte und dazu erklärte, dass man die Eier markieren muss, weil sie nicht gedreht werden dürfen. Noch verwirrter war ich, als ich an Meeres-Schildkröten dachte, die ihre Eier ja in Gruben legen, beim Runterrollen drehen sich die Eier natürlich auch.
Dürfen Eier nun gedreht werden oder nicht? Wovon hängt das ab? Wie so oft zeigte sich, dass eine scheinbar einfache Frage eine ziemlich komplexe Antwort hat.
Fangen wir mit dem Vogelei an. Das sieht etwa so aus (Bild von Wikipedia, wo sonst…)
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Der kleine rote Punkt ist das wichtigste am Ei, der Keimfleck. Aus diesem wird später mal das Huhn. Das gelbe ist logischerweise das Eigelb, das die Nährstoffe enthält, mit denen der Embryo versorgt wird. Der Keimfleck sitzt direkt auf dem Eigelb. Beide schwimmen (durch eine Membran abgetrennt) im Eiweiß, das zum einen Nährstoffe und Wasser bereitstellt, zum anderen aber auch als Schutz dient. Das Eigelb schwimmt immer schön in der Mitte des Eis, weil es an zwei Schnüren befestigt ist, die man Hagelschnüre oder vornehm Chalazen (Singular: Chalaza) nennt. Manchmal kann man diese Schnüre auch sehen, wenn man ein Ei aufschlägt.
Wenn man das Ei dreht, dann behält das Eigelb seine Orientierung bei, weil sich die Hagelschnüre einfach entsprechend verdrillen. Dadurch ist der Embryo immer richtig orientiert. (Da die Seite mit dem Embryo eine geringere Dichte hat, liegt sie nach jeder Drehung auch immer oben, selbst wenn man das Ei über die Längsseite kippt.) Die Hagelschnüre entstehen durch modifiziertes Eiweiß, das sich ans Eigelb anheftet. Weil das Ei im Eileiter mehrfach gedreht wird, sind auch die Eischnüre verdrillt.
Tatsächlich ist es sogar so, dass es für Vogeleier besser ist, wenn sie regelmäßig gedreht werden. Experimente zeigen, dass Hühnereier, die nicht gedreht werden, nur zu 15% ausschlüpfen, während es bei zweimal am Tag gedrehten Eiern 45% sind und bei fünfmal am Tag gedrehten Eiern 58%.
Gerade in den ersten Tagen (Tag 3-7) der Entwicklung bezieht der Embryo Wasser aus dem Albumen, dem Sack in dem sich das Eiweiß befindet, und formt das sogenannte sub-embryonic fluid (SEF – ob dafür sub-embryonische Flüssigkeit die korrekte Übersetzung ist, weiß ich nicht). In ungedrehten Eiern ist die Menge an SEF deutlich reduziert. Dies könnte daran liegen, dass das Drehen für eine bessere Vermischung innerhalb des Eiweiß-Sacks sorgt, so dass der Flüssigkeitstransfer durch Osmose verbessert wird.
In späteren Entwicklungsstadien unterscheiden sich ungedrehte Eier deutlich von gedrehten:
(Bildquelle Deeming 1991)
In diesem Bild sieht man das Amnion, in dem der Embryo sitzt. (Das Bild sieht anders aus als das oben, weil hier der Embryo weiter entwickelt ist, die einzelnen Bestandteile des Eis haben deshalb ihre Größe verändert.) Im gedrehten Ei (oben) liegt das Amnion seitlich vom Eigelb und hat eine Verbindung mit dem Albumen (dem Eiweiß-Sack). Im nicht gedrehten Ei (unten) dagegen liegt das Amnion oben und die Verbindung zum Albumen ist wesentlich dünner. Vermutlich ist hierdurch die Versorgung mit Nähstoffen eingeschränkt – jedenfalls verbrauchen Embryonen in ungedrehten Eiern in diesem Entwicklungsstadium deutlich weniger Sauerstoff, was für einen verringerten Stoffwechsel spricht. (Es liegt nicht an einer schlechteren Sauerstoffversorgung, wie man herausfand, indem man ungedrehte Eier in einer Atmosphäre mit erhöhtem Sauerstoffgehalt ausbrütete.)
Es ist allerdings nicht so, dass ungedrehte Eier immer die hier gezeigte Form annehmen, auch Zwischenstadien sind möglich; zumindest ein kleiner Teil der ungedrehten Eier schlüpft ja schließlich auch aus.
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