In vielen Reptilien ist dagegen ein Drehen des Eis gefährlich. Sie haben nämlich keine Chalazen. Weil das Amnion leichter ist als das umliegende Eiweiß, bewegt es sich im Ei nach oben und verklebt dort mit der inneren Membran der Schale. Wenn man das Ei danach dreht, dann kann die Bewegung des Eiweißes das Amnion von der Innenwand des Eis abreißen, wodurch der Embryo geschädigt wird. Reptilieneier müssen deshalb mit großer Vorsicht behandelt und markiert werden. Beim Legen ist das Eigelb noch nicht an der Wand befestigt, deshalb kann das Ei schadlos in eine Erdkuhle kullern.
Untersuchungen zeigen aber, dass vorsichtiges Drehen zumindest bei einigen Reptilien kein großes Problem darstellt: Werden Alligatoreier stündlich vorsichtig und um nicht mehr als 60° gedreht, so schlüpfen dennoch die meisten der Alligatoren. Alligatoreier haben allerdings eine vergleichsweise geringe Menge an Eiweiß. Ähnlich ist es bei Skinken: Skinke kümmern sich intensiv um ihre Eier, die in Erdhöhlen gelegt werden – als wechselwarme Tiere bebrüten sie sie nicht, aber anscheinend verbessern sie so die Feuchtigkeitsversorgung der Eier. Vermutlich ist auch bei ihnen der Eiweißgehalt vergleichsweise niedrig und sie bewegen ihre Eier einigermaßen vorsichtig – das ist allerdings eine Spekulation, die Charles Deeming (von dem die oben beschrieben Untersuchungen stammen) mir in einer e-mail mitteilte.
Evolutionär betrachtet ist dieser generelle Unterschied zwischen Reptilien- und Vogeleiern sehr sinnvoll: Reptilien bebrüten ihre Eier ja nicht, sondern vergraben sie meist. Wenn ein Reptilienei gedreht wird, dann nur, weil ein Räuber es gerade auffressen will – da hilft dann auch eine Chalaza nicht mehr.
Bei brütenden Vögeln dagegen lässt es sich natürlich kaum vermeiden, dass der Vogel mal gegen ein Ei stößt oder es aus einem anderen Grund herumkullert – das Ei ist ja nicht eingegraben. Entsprechend sind Chalazen hilfreich, um die Überlebensfähigkeit des Embryos zu erhöhen. Zusätzlich wachsen Vogelembryonen wegen der höheren Bruttemperatur wesentlich schneller als Reptilienembryonen. Dafür brauchen sie eine erhöhte Nährstoffzufuhr, und wie wir oben gesehen haben wird die ja durch das Drehen der Eier verbessert.
Brutverhalten kennt man ja inzwischen nicht nur von Vögeln, sondern auch von einigen Dinosauriern, beispielsweise Citipati (Jaja, wieder bei Wikipedia geklaut):
Von Eduard Solà – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link
Citipati ist ein naher Verwandter des Oviraptor, der zumindest in meiner Kindheit in keinem Dinobuch fehlen durfte, weil er – so glaubte man – mit seinem zahnlosen Schnabel vor allem Eier fraß, denn man hatte die Knochen zusammen mit Eiern gefunden. (Oviraptor heißt entsprechend auch “Eierdieb”.) Inzwischen weiß man, dass man dem Oviraptor Unrecht getan hat, denn in Wahrheit brütete er auf seinen eigenen Eiern. Hier ein Bild eines brütenden Citipati (an gleicher Stelle geklaut):
Von Dinoguy2 – Eigenes Werk, CC SA 1.0, Link
Die ausgebreitete Armhaltung deutet übrigens darauf hin, dass Citipati – wie viele seiner Verwandten – Federn hatte. Anders als heutige Vögel hatten damalige Dinos übrigens noch zwei Eileiter, so dass die Eier in Paaren gelegt wurden.
Jetzt wäre es natürlich interessant zu wissen, ob Citipati und seine engen Verwandten auch schon über Chalazen verfügten. Da Eiweiß sich aber nicht besonders gut über 65 Millionen Jahre frisch hält, ist das bisher meines Wissens ungeklärt.
Überlegt man sich, wie die Evolution abgelaufen sein könnte (Achtung: Spekulationen!), dann scheint es plausibel, dass sich zuerst das Brüten und dann die Chalaza entwickelt hat, denn ohne Brüten ist eine Chalaza ja vollkommen funktionslos. Vielleicht haben die ersten brütenden Dinosaurier ihre Eier fest genug in ihre Sandnester positioniert, dass sie sich nicht so leicht drehen konnten. In einem Übersichtsartikel zur Entwicklung des Brutverhaltens schreibt Kavanau (Quelle dafür ist ein Artikel von Horner):
Partial burial in soil assured that the eggs would not be moved, and could receive direct parental contact, probably being incubated by a combination of both.
Teilweises Vergraben in Erde stellte sicher, dass die Eier nicht bewegt würden und dass sie direkten Kontakt mit den Eltern hatten, so dass sich durch eine Kombination aus beidem [gemeint ist, wenn ich es richtig verstehe, elterliche Wärme und Wärme aus Erde bzw. Vegetation] bebrütet wurden
Wie so oft in der Biologie zeigt sich, wie Strukturen und Funktionen in komplexer Weise miteinander verzahnt sind: Für das Bebrüten der Eier ist eine Chalaza vorteilhaft, damit die Eier gedreht werden können. Eier die gedreht werden, können wiederum schneller wachsen, weil die Nährstoffversorgung des Embryos verbessert wird, so dass schließlich aus der Gefahr des Eierdrehens eine Notwendigkeit wurde.
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