Für eine große Analyse verwendet man typischerweise mehrere hundert solcher Merkmale und analysiert sie für ein paar Dutzend Dinosaurier. Das gibt dann eine ziemlich riesige Matrix. Anschließend lässt man einen Computer nach Möglichkeiten suchen, die Dinos so in einem Stammbaum anzuordnen, dass möglichst wenige Evolutionsschritte notwendig sind. (Man nimmt also an, dass beispielsweise die Vergrößerung oder Verkleinerung des Nasenlochs ein Evolutionsschritt ist.) Die “?” werden dabei ignoriert. Es ist klar, dass solche Analysen immer eine gewisse Willkür in der Auswahl der Merkmale haben.

Eigentlich müsste man unterschiedliche Merkmale auch unterschiedlich gewichten – ein neu entwickelt Knochen ist vermutlich ein größerer Evolutionsschritt als eine Vergrößerung des Nasenlochs. Da man diese Gewichtung aber nicht kennt, werden alle Merkmale gleich gezählt und man hofft (Computeranalysen von “künstlichen” Stammbäumen bestätigen das), dass die große Zahl der Merkmale dafür sorgt, dass Probleme sich herausmitteln.

Natürlich ist so eine Analyse ein Haufen Arbeit – immerhin muss man die Knochen von einem Haufen Dinos analysieren und vermessen; meist ist das damit verbunden, dass man dorthin fährt, wo der Dino gelagert ist, denn die Daten lassen sich aus Veröffentlichungen nicht immer ermitteln.

Man kann es den Entdeckern von Sarahsaurus deshalb nicht verdenken, dass sie auf eine bestehende Datenmatrix zurückgegriffen haben und ihren Sarahsaurus in diese Matrix eingetragen haben. So brauchten sie nur ein Skelett zu vermessen.

Tatsächlich haben die Autoren sogar zwei unterschiedliche Analysen verwendet, eine von Yates mit 51 Arten und 361 Merkmalen und eine von Upchurch mit 38 Arten und 292 Merkmalen. Das Ergebnis sieht man hier, wobei nur diejenigen Arten berücksichtigt wurden, deren Merkmale zu mindestens 50% bekannt waren (adaptier von Rowe et al., s.u.):

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So einen Stammbaum, genauer gesagt ein Kladogramm, liest man von der Wurzel an. Ganz unten links haben wir die “outgroup” – das sind Dinos, die definitiv nicht zur untersuchten Gruppe gehören, aber mit den Vorfahren der Gruppe möglichst eng verwandt sind. Diese “outgroup” bildet sozusagen den Startpunkt der Analyse – ihre Merkmale legen fest, womit die Evolution der betrachteten Gruppe (vermutlich) begonnen hat. Saturnalia, der nächste in der Reihe ist also ein besonders “urtümlicher” Sauropodenartiger, einer, der den Mitgliedern der Outgroup in besonders vielen Merkmalen gleicht.

Betrachtet man die Position von Sarahsaurus, so stellt man fest, dass diese in den beiden Analysen ziemlich unterschiedlich ausfällt – im linken Diagramm nach Yates ist Sarahsaurus noch eher “primitiv”und steht zwischen Riojasaurus und Efraasia, im rechten (nach Upchurch) dagegen gehört Sarahsaurus zu den “echten” Sauropoden und ist von Efraasia ziemlich weit entfernt. Diese großen Unterschiede liegen zum einen in der anderen Auswahl von Arten begründet (bei Yates beispielsweise ist Ruehleia berücksichtigt), zum anderen in der Wahl der Merkmale. Insgesamt ist der Unterschied ein Hinweis darauf, dass große Lücken in den Fossilfunden existieren.

Drei der Dinonamen im Kladogramm sind rot eingefärbt. Das sind die einzigen drei, die aus Nordamerika stammen. Obwohl Nordamerika in der oberen Jurazeit ein wahres Paradies für Sauropoden war (mit Apatosaurus, Camarasaurus, Diplodocus, Brachiosaurus, Barosaurus, Haplocanthosaurus, Seismosaurus und Supersaurus, zum Teil in mehreren Arten), gab es in der Trias keine und im frühen Jura nur drei Gattungen, die auch nicht gleichzeitig lebten.

Das Kladogramm zeigt nun, dass diese drei Gattungen nicht besonders eng miteinander verwandt waren, sondern dass es Zwischenformen gab, die anderswo auf der Welt lebten. Daraus kann man schließen, dass Nordamerika nicht von einem urtümlichen Sauropodenartigen besiedelt wurde, der sich dann weiterentwickelte und in verschiedene Gattungen aufspaltete, sondern dass es drei “Einwanderungsereignisse” gab – die Vorfahren von Sarahsaurus, Seitaad und Anchisaurus wanderten jeweils nach Nordamerika ein.

Besonders rätselhaft ist, dass die Sauropodenartigen anderswo auf der Welt in wesentlich mehr Arten verbreitet waren. Warum Nordamerika in der frühen Jurazeit für sie kein so günstiges Pflaster war und warum es mehrere Einwanderungen brauchte, bis die Sauropoden endgültig Fuß fassten, ist zur Zeit ungeklärt. Ganz so unangefochten, wie man einmal angenommen hat, war die Eroberung der Erde durch die Dinosaurier aber anscheinend nicht.

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