Was ist nun eigentlich das große Problem der Quantenmechanik? Warum können sich Physikerinnen und Philosophinnen darüber die Köpfe heiß reden? Wenn die Schrödingergleichung alles so schön beschreibt, warum redet man dann überhaupt über “Interpretationen” und Modelle?
Der Grund ist simpel: Nach unserem heutigen Kenntnisstand gibt es einen Moment, wo die Schrödingergleichung zusammenbricht: Die Messung.
Der Kollaps der Wellenfunktion
Am Ende des letzten Teils habe ich bereits angedeutet, wo das eigentliche Problem beim Verständnis der Quantenmechanik steckt. Hier nochmal das Szenario zur Erinnerung:
Wir schicken ein Elektron auf eine Barriere, an der seine Wellenfunktion aufgespalten wird. Die Wellenfunktion besteht hinterher aus zwei Teilen: Ein Wellenpaket läuft nach links, ein anderes nach rechts (hier ist wieder mal Ψ*Ψ aufgetragen):
Wir stellen weit weg von der Barriere auf jeder Seite einen Detektor für Elektronen auf. (Wer sich keinen Elektronendetektor vorstellen kann: Jeder Röhrenfernseher hat eine Mattscheibe, die ein Elektronendetektor ist – es sind ja Elektronenstrahlen, die das Bild erzeugen.) Damit die Sache anschaulich und drastisch wird, packen wir einen der beiden Detektoren sehr weit weg, vielleicht zum Mond oder so.
Solange keiner der beiden Detektoren das Elektron gemessen hat, besteht seine Wellenfunktion laut Schrödingergleichung aus den beiden gleich großen und in entgegengesetzte Richtungen laufenden Teilen, man spricht oft von einer “Überlagerung” der beiden Teile. Wenn aber der Detektor hier das Elektron misst, dann kann es nicht mehr auf dem Mond gemessen werden. Sobald das Elektron hier im Detektor ist, muss sich die Wellenfunktion so verändern, dass der Teil, der gerade beim Mond unterwegs war, verschwindet. (Und entsprechend muss sich der Teil hier beim Detektor auch verändern, weil die Gesamtwahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu finden, ja immer gleich Eins sein muss.)
Die Wellenfunktion muss sich also verändern, und zwar sprunghaft. Laut Schrödingergleichung ist so etwas aber unmöglich. Das kann man leicht einsehen: Die Schrödingergleichung verknüpft die Änderung der Wellenfunktion an einem Ort mit der Krümmung an diesem Ort. Sie ist also eine lokale Gleichung – was weit weg am anderen Detektor passiert, kann die Wellenfunktion nicht sofort beeinflussen, sondern nur, indem sich die Wellenfunktion zwischen den beiden Detektoren passend verändert.
Bei der Messung des Elektrons passiert also etwas mit der Wellenfunktion, was die SGL nicht beschreiben kann. Man spricht auch vom “Kollaps” der Wellenfunktion, weil der eine Teil plötzlich zu Null wird. Einstein sprach von einer “spukhaften Fernwirkung”.
Das schöne Quantentunnelprogramm, das ich schon letztes Mal verwendet hatte, hat zum Glück einen Knopf, mit dem man eine Messung simulieren kann (“make quantum measurement”). Nehmen wir an, so sieht unsere Situation vor der Messung aus:
Wenn unser Detektor rechts das Teilchen misst, dann sieht seine Wellenfunktion hinterher so aus:
Die “friedliche Koexistenz” von Quantenmechanik und Relativitätstheorie
Die Wellenfunktion hat sich also tatsächlich sprunghaft verändert. Wenn wir uns vorstellen, dass die beiden Wellenpaket-Anteile der Wellenfunktion sehr weit auseinander liegen, dann sehen wir, dass diese Veränderung sogar schneller als das Licht sein muss!
Alarm!! Einstein widerlegt!!! Wellenfunktionen verändern sich mit Überlichtgeschwindigkeit!!!!
Keine Panik, die Relativitätstheorie wird durch diesen Messprozess nicht wirklich berührt – die Veränderung der Wellenfunktion kann ja nicht verwendet werden, um Signale zu verschicken, denn dazu müsste ich ja am anderen Detektor wissen, dass jetzt hier ein Wellenpaket ankommt, das gleich kollabiert. Das weiß ich aber natürlich nicht, wenn es mir keiner sagt – denn die Wellenfunktion selbst kann ich ja nicht messen. (Wenn ich das tun würde, dann würde ich entweder das Elektron bei mir finden, aber dann würde die Wellenfunktion ja bei mir kollabiert sein, oder ich würde kein Messergebnis bekommen, dann würde die Wellenfunktion im anderen Detektor kollabieren.) Signale lassen sich also nicht mit Überlichtgeschwindigkeit transportieren – irgendwo stand mal der Satz von der “peaceful coexistence” von Quantenmechanik und Schrödingergleichung, der das sehr hübsch umschreibt.
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