Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie ist ja die Raumzeit gekrümmt, das hat vermutlich jeder schon mal gehört. Veranschaulicht wird das oft mit gekrümmten Flächen im Raum. Aber wie krümmt man die Raum-Zeit? Und wenn man sich das mit gekrümmten Flächen vorstellen soll, worin ist denn die Raumzeit gekrümmt? Gibt es einen Hyperraum?
Bilder wie dieses Bild eines Wurmlochs
Von Panzi – English Wikipedia, CC BY-SA 3.0, Link
scheinen ja zu suggerieren, dass die Raumzeit irgendwie in einen höheren Raum “eingebettet” ist.
Hier will ich versuchen, euch (und mir selbst, beim Schreiben lernt man ja am meisten) anschaulich zu erklären, wie das mit der Raumzeitkrümmung funktioniert und warum man keinen Hyperraum braucht. Stattdessen verwenden wir Landkarten mit seltsamen Maßstäben.
Eine “Plattkarte” der Erde
Für den Anfang braucht ihr erstmal einen Globus, oder zumindest ein Bild von einem:
By Stefan Kühn – Own work, CC0, Link
Kartographinnen stehen ja schon seit Jahrhunderten vor dem Problem, wie man möglichst genaue Karten der kugelförmigen Erde anfertigt. Man kann die Oberfläche der Erde ja nicht einfach auf ein flaches Stück Papier abbilden, ohne dass sich irgendwas verzerrt, eben weil die Erdoberfläche gekrümmt ist. (Wer’s nicht glaubt, kann folgendes einfache Experiment machen: Eine Mandarine so schälen, dass die Schale in einem Stück bleibt, und dann versuchen, die Schale flach auf den Tisch zu legen.)
Eine einfache Möglichkeit der Abbildung (allerdings keine besonders übliche) besteht darin, das oben eingezeichnete Netz aus Längen- und Breitengraden auf ein Karopapier zu übertragen (der Fachterminus dafür ist, wie ich gerade auf Wikipedia gelernt habe, “Plattkarte”). So sieht unsere Erde aus:
Von original by NASA (sensor Terra/MODIS), modified by Mdf – https://visibleearth.nasa.gov/: Info, Image. Modified by Mdf, Gemeinfrei, Link
Wie man erkennen kann, ist die Karte insbesondere in der Nähe der Pole nicht so toll – genau an den Polen gehören ja zu einem einzigen Wert des Breitengrades alle möglichen Längengradwerte. (Die häufig verwendete Mercator-Projektion sieht etwas anders aus, sie vergrößert die Bereiche, die weiter vom Äquator entfernt sind. In den Siebziger Jahren wurde sie deshalb als “eurozentristisch” eingestuft und alternative Kartenentwürfe wurden vorgeschlagen. Bei Wikipedia findet ihr mehr dazu.)
Im folgenden betrachte ich deshalb nur einen Ausschnitt aus dieser Karte, der den Nordpol nicht mit einschließt:
Eingezeichnet habe ich jetzt auch Werte für die Grade an den Längen- und Breitengraden; damit es überschaubar bleibt, konzentriere ich mich auf die nördliche Breite und östliche Länge.
Die Linien haben einen Abstand von jeweils 15Grad. Der räumliche Abstand ist aber komplizierter: Der Abstand zwischen zwei Breitengraden ist immer gleich – 15Grad machen so etwa 1667km Kilometer aus (da die Erde nicht perfekt kugelförmig ist, gibt es da ne leichte Korrektur, wer will, kann die bei Wikipedia nachlesen). Längengrade rücken aber ja immer dichter zusammen, je näher ich dem Pol komme. Entsprechend ändert sich auch der Abstand zweier Längengrade mit zunehmendem Breitengrad: Am Äquator ebenfalls 1667km für 15°, aber je weiter man nach Norden geht, desto kleiner wird der Wert. Oben am Bild der Längengrade auf der Kugel (oder noch besser an eurem Globus) könnt ihr das leicht sehen.
Wie die Karte die Raumkrümmung zeigt
Und in dieser Längenänderung steckt jetzt schon das Geheimnis der Raumkrümmung (die Raumzeit krümmen wir anschließend). Stellt euch zunächst vor, ihr startet bei 45° nördlicher Breite und 0°Länge (so etwa irgendwo in den Pyrenäen). Von dort aus geht ihr 3546km nach Osten, das sind gerade 45°Länge, landet also kurz vor dem Aralsee Kaspischen Meer (ähem, Geografie war noch nie meine starke Seite, danke, Saintman). Anschließend fliegt ihr 5001km nach Süden, so dass ihr knapp südlich vom Horn von Afrika im Meer landet. In folgendem Bild ist das die grüne Route:
Eure bessere Hälfte möchte euch mit einem romantischen Stelldichein am Ziel überraschen und versucht, denselben Weg auf einer anderen Strecke zurückzulegen (in blau), nämlich erst die 5001km nach Süden, danach 3546km nach Osten. In Afrika am Viktoriasee ist es natürlich viel schöner als mitten im indischen Ozean, aber aus der Romanze wird wohl nichts.
Wenn ihr auf den Globus oben guckt, seht ihr, dass natürlich die Erdkrümmung Schuld an der Misere ist, aber wie die Grafik zeigt, kann man den Effekt auch direkt nur mit Hilfe der rein zweidimensionalen Karte verstehen – man muss sich eben nur an den von Ort zu Ort wechselnden Maßstab auf der Karte gewöhnen.
Dieser wechselnde Maßstab hat auch einen Namen: Die Metrik. Mit Hilfe der Metrik kann man alles über die Krümmung des Raumes herausfinden, in dem man lebt, ohne sich dabei irgendeinen Hyperraum vorstellen zu müssen. Wenn ich es richtig verstehe, hat Carl Friedrich Gauß als erster erkannt, dass man keine höheren Dimensionen braucht, um eine gekrümmte Fläche zu beschreiben – der zugehörige mathematische Satz trägt den schönen Namen theorema egregium (frei übersetzt bedeutet das wohl soviel wie “voll cooler Satz”).
Wir krümmen die Raumzeit
Und, seid ihr bereit, jetzt die Raumzeit zu krümmen? Mit dem Bild von hier können wir jetzt ein erstes Beispiel für die Krümmung der Raumzeit verstehen.
Eine der Aussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) ist ja, dass Uhren in einem Schwerefeld langsamer gehen. Eine Uhr auf Meeresspiegel geht also langsamer als die an der Spitze eines Turmes, wenn auch nur seeehr wenig. Dass das so ist, wird in der ART aus den Gleichungen für die Raumzeit-Metrik abgeleitet, die also sagen, welchen Maßstab man verwenden muss, wenn man von einem Raumzeitpunkt zum anderen geht.
Warum das bedeutet, dass die Raumzeit gekrümmt ist, sehen wir, wenn wir im Bild oben die Ost-West-Richtung durch die Zeit ersetzen, die Nord-Süd-Richtung durch die Höhe. Oben im Bild ist die Schwerkraft höher als unten (normal würde man es sicher andersrum zeichnen, aber so herum passt es besser zu unserer Landkarte). Oben im Bild (also bei der höheren Schwerkraft) vergeht die Zeit langsamer als unten, beispielsweise könnten “oben” 10 Sekunden vergehen, wenn es unten 14 Sekunden sind (diese Werte sind frei aus der Luft gegriffen, auf der Erde ist der Effekt wesentlich kleiner; auch die Gradzahlen sind hier völlig willkürlich):
Ein Punkt in diesem Diagramm entspricht also einem bestimmten Raumzeitpunkt, das heißt einem Ort zu einer bestimmten Zeit. Was wir jetzt in das Bild einzeichnen, sind so genannte “Weltlinien”, also Linien, die den Ort eines Objekts zu jedem Zeitpunkt in einem Ort-Zeit-Diagramm eintragen.
Stellt euch vor, ihr spielt dasselbe Spiel wie eben und versucht, denselben Weg auf zwei verschiedenen Weisen zu gehen. Einmal wartet ihr 30 Sekunden und entfernt euch dann (sehr schnell, so dass die Linie praktisch senkrecht verläuft)
um eine bestimmte Strecke von der Schwerkraftquelle, eure bessere Hälfte dagegen entfernt sich erst von der Schwerkraftquelle und wartet dann 30 Sekunden.
Kommt ihr beide zur selben Zeit am selben Ort an? (Nur dann wäre der Weg geschlossen.) Nein, treffen werdet ihr euch erst nach weiteren etwa 10 Sekunden, eure bessere Hälfte muss auf euch warten, denn für sie vergeht (weiter weg von der hohen Schwerkraft) die Zeit schneller als für euch. Der scheinbar geschlossene Weg ist also nicht geschlossen und daraus könnt ihr schließen, dass die Raumzeit gekrümmt ist.
Und wieder einmal wird dieser Text länger, als ursprünglich gedacht – eigentlich wollte ich nur ganz kurz erklären, warum man in der ART keinen Hyperraum braucht. Aber es gibt noch so viele Interessante Dinge zu diskutieren – Kreise und Dreiecke zum Beispiel. Also gibt’s demnächst Teil II, und Teil III (mit negativ gekrümmten Räumen) wird wohl auch noch kommen müssen…
Ich bin selbst kein Experte für die ART, geschweige denn für Differentialgeometrie. Ich hoffe, ich habe hier trotzdem nicht zuviel Unsinn verzapft, falls doch, beschwert euch in den Kommentaren.
Anschauliche Erklärungen der Raumzeitkrümmung gibt es im Internet einige (allerdings auf Englisch), zum Beispiel:
Einstein for Everyone sehr ausführlich, mit wenig Mathematik und vielen Bildern, erklärt spezielle und allgemeine RT. Ist in vieler Hinsicht ähnlich zu dem, was ich hier mache.
Deriving the simplest geometry ist deutlich mathematischer, aber extrem cool. Dieser Text liefert anscheinend den physikalischen Hintergrund für einen Science-Fiction-Roman mit dem Titel Incandescence, in dem eine vor-industrielle Zivilisation die ART entdeckt (muss ich mir bei Gelegenheit mal besorgen…).
Und wer sich generell für gekrümmte Flächen interessiert, für den gibt es natürlich Thilo’s Serie “Topologie von Flächen”.
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Wie man die Raumzeit krümmt. Teil I: Spielereien mit Landkarten
Wie man die Raumzeit krümmt. Teil II: Warum der Sonnenradius “zu groß” ist
Wie man die Raumzeit krümmt. Teil III Negative Krümmung und ein Tipp zum Pizza-Essen
Wie man die Raumzeit krümmt. Teil IV: Raumzeit – was ist das eigentlich?
Wie man die Raumzeit krümmt. Teil V Warum es keine Schwerkraft gibt
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