Jetzt lauft ihr von b nach c, wieder mit dem Paralleltransport. Dort dreht ihr euch dann um 180°-c. Und schließlich zurück nach a und wieder gedreht, bis ihr so steht wie am Anfang. Insgesamt habt ihr euch um
(180°-b) + (180°-c) + (180°-a) = 540° – (a+b+c)
gedreht, den auf den Kanten ist ja nichts passiert. Wenn ihr euren Weg nochmal zurückverfolgt, seht ihr, dass ihr euch aber auch genau einmal um euch selbst gedreht habt (ihr habt mit dem Stock einmal in jede Richtung gezeigt.) Einmal rum sind 360°, also
540° – (a+b+c) = 360° woraus folgt a+b+c=180°
War doch gar nicht so schlimm, oder?
Als nächstes spielen wir dasselbe Spiel auf unserer Erdkarte. Hier ein Dreieck:
Auf unserer Karte sehen zwei Seiten des Dreiecks jetzt gekrümmt aus. Das liegt daran, dass wir ja die Eckpunkt mit kürzesten Linien verbinden müssen, also mit Geodäten (denkt an die Flugrouten von oben).
Wieder laufen wir links oben los, mit einem Stock, der in Richtung der grünen Linie zeigt. Während wir zur Ecke rechts oben laufen, achten wir wieder darauf, den Stock die ganze Zeit schön parallel zu unserer Geodäte zu halten, dabei müssen wir ihn aber ständig drehen. An den anderen beiden Ecken spielen wir dasselbe Spiel. Da beim Laufen auf den Geodäten der Stock mitgedreht wird, gilt das Argument oben für die Winkelsumme im Dreieck nicht mehr, das beruhte ja darauf, dass der Stock auf den Kanten nicht gedreht wird.
Die Winkelsumme unseres Dreiecks wird also nicht 180° sein – da wir an der oberen Kante ziemlich stark von einer geraden Linie abweichen, auf der Diagonale aber nur wenig, wird die Winkelsumme größer als 180° sein. Das ist auf einer Kugel immer so – die Abweichung von 180° ist dabei proportional zur Fläche des Dreiecks. (Mein Dreieck hier ist vergleichsweise klein, deswegen ist der Effekt nicht so deutlich.) Wenn ihr nochmal auf den Globus schaut, dann seht ihr, dass ein Dreieck, dass aus zwei Längengraden und einem Stück Äquator besteht, sogar drei rechte Winkel haben kann:
Wenn ihr also nicht wisst, ob ihr in einem Gebiet wohnt, in dem der Raum gekrümmt ist, dann müsst ihr ein großes Dreieck zeichnen und die Winkelsumme messen – wenn sie größer ist als 180°, dann ist der Raum gekrümmt, wenn sie gleich 180° ist, dann nicht. (Kleiner als 180° kann sie auch werden, das diskutieren wir vermutlich im nächsten Teil.) Carl Friedrich Gauß hat das tatsächlich mal mit einem Dreieck versucht, das bei einer Landvermessung gemessen wurde – aber die Raumkrümmung an der Erdoberfläche ist zu klein, als dass er etwas hätte sehen können.
Nachtrag In den Kommentaren wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass man das leicht missverstehen kann: Gauß wollte natürlich nicht die Krümmung der Erdoberfläche messen, sondern wirklich die des Raumes. Er vermaß also die direkte Sichtlinie zwischen drei Punkten (Laut Wikipedia “Gauß habe bei Gelegenheit der Hannoverschen Landesvermessung empirisch nach einer Abweichung der Winkelsumme besonders großer Dreiecke vom Euklidischen Wert von 180° gesucht. Wie etwa bei dem Dreieck, das vom Brocken im Harz, dem Inselsberg im Thüringer Wald und dem Hohen Hagen bei Dransfeld gebildet wird.”)
Auch hier zeigt sich wieder, dass man den Effekt der Krümmung vollständig beschreiben kann, ohne sich die Kugeloberfläche in der dritten Dimension vorzustellen, rein durch den räumlich veränderlichen Maßstab.
Ein Beispiel dafür ist die berühmte Raumkrümmung in der Nähe der Sonne, die für die Lichtablenkung sorgt. Stellt euch zwei weit entfernte, dicht benachbarte Sterne vor, die genau parallele Lichtstrahlen Richtung Sonnensystem aussenden. Sausen diese haarscharf an der Sonnenoberfläche vorbei, so wird jeder von ihnen um eine Winzigkeit abgelenkt (nämlich um 1.75Bogensekunden), so dass sich die beiden Lichtstrahlen schließlich treffen. Zusammen mit der Verbindungslinie der beiden Sterne ergibt sich also ein Dreieck mit zwei rechten Winkeln und einem sehr spitzen Winkel von 3,5 Bogensekunden, die Winkelsumme im Dreieck ist also geringfügig größer als 180°. (Dabei habe ich etwas geschummelt, denn ich habe noch gar nicht erklärt, dass Lichtstrahlen Geodäten beschreiben – das habe ich hier einfach reingesteckt.)
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