Parallelen
Die Geometrie der gekrümmten Räume wurde entdeckt, als man versuchte, das berühmte Parallelenaxiom zu verstehen. Zwei Geraden heißen parallel, wenn sie sich niemals schneiden. In der Ebene gibt es zu einer Geraden und einem gegebenen Punkt immer genau eine Parallele, die durch den Punkt geht:
Die Entfernung zwischen den beiden Geraden bleibt dabei immer gleich. Man bekommt die Parallele, indem man eine senkrechte Linie auf die erste Gerade zeichnet, und dann auf die wieder eine Senkrechte, also (im Bild oben) eine 90°-Drehung rechtsherum, dann zum Punkt laufen, dann wieder um 90° linksherum.
Spielen wir dasselbe Spiel auf unserer Karte, sehen wir, dass das anders ist.
Zeichnet auf der ersten Geodäte eine zweite im rechten Winkel, lauft diese (mit Paralleltransport) entlang und zeichnet dann eine zweite Geodäte wieder im rechten Winkel zur ersten. Nun sollten die beiden eigentlich ja parallel sein.
Sind sie aber nicht: Die zwei Geodäten nähern sich immer weiter an und treffen sich schließlich. Das war ja gerade der “Trick” bei dem oben gezeichneten Dreieck mit drei rechten Winkeln: Die Entfernung zwischen den beiden Längengraden verringert sich immer weiter, je weiter wir nach Norden kommen, und am Nordpol treffen sie sich. Auch das lässt sich auf der Karte direkt am wechselnden Maßstab ablesen – je weiter wir nach Norden kommen, desto kleiner wird ja der Abstand zwischen den Längengraden; wenn wir die Karte bis zum Nordpol verlängern, schrumpft der Abstand auf Null und die Längengrade treffen sich.
Wenn sich also zwei anfänglich parallele Geodäten schließlich schneiden, dann bedeutet auch das, dass der Raum, in dem man lebt, gekrümmt ist. Auch hier ist wieder keine “Einbettung” in einen Raum mit höherer Dimension nötig.
In unserem gekrümmten Raum gibt es durch einen Punkt neben einer Geodäten also überhaupt keine Parallele: Alle Geodäten schneiden sich irgendwo, so wie auch die Lichtstrahlen, die an der Sonne gekrümmt wurden.
Aber Vorsicht: Dass sich alle Geodäten immer schneiden gilt nur in einem Raum, der wie eine Kugeloberfläche gekrümmt ist. Unsere Raumzeit ist dagegen ungleichmäßig gekrümmt (und die Krümmung kann auch negativ sein, dann laufen Geodäten auseinander, aber dafür brauche ich noch einen dritten Teil). All diese Komplikationen vertage ich erstmal, um euch lieber zu erklären, warum die Sonne einen zu großen Radius hat.
Kreise
Als nächstes zeichnen wir einen Kreis. Wir suchen uns einen zentralen Punkt und gehen von dort aus jeweils etwa 3000km in unterschiedliche Richtungen (und zwar auf dem kürzesten Weg, also auf Geodäten) – einen Radius habe ich grün eingezeichnet. Das Gebilde, das da am Ende herauskommt, sieht auf der Karte nicht sehr kreisförmig aus (zumal ich auch ein bisschen schlampig beim Zeichnen war):
Eine Überraschung erlebt man, wenn man den Umfang des Kreises berechnet, indem man die Kreislinie abschreitet: In der Schule habt ihr alle mal gelernt, dass der Kreisumfang 2πr beträgt, das wären also etwa 18850km. Tatsächlich ist der Umfang unseres Kreises ist wegen des verzerrten Maßstabs kleiner als das. Auf der Zeichnung lässt sich das nur mit Mühe ausmessen (obwohl es stimmt, jedenfalls, wenn man den Kreis ganz sauber zeichnet), aber auf dem Bild des Globus sieht man sofort, warum ein Kreis auf einer Kugel einen zu kleinen Umfang hat:
Der “eigentliche” Radius des gezeichneten Kreises ist ja eine gerade Linie, die zur Erdachse hin zeigt, der Radius auf der Oberfläche, der ja am Nordpol starten muss, ist länger als das.
Ein Kreis auf einer gekrümmten Fläche hat also für einen gegebenen Radius einen zu kleinen Umfang. Das merkt man übrigens auch am Beispiel mit der Mandarinenschale aus dem ersten Teil: Drückt man die obere Hälfte der Mandarinenschale (die eine Halbkugel ist, also von einem Kreis begrenzt wird) flach, dann reißt sie ein – es ist sozusagen nicht genug Umfang für den Radius da.
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