Wer den Titel des Artikels liest, denkt vermutlich, ich bin entweder völlig übergeschnappt oder es handelt sich nur um einen rhetorischen Trick, damit ihr alle hier klickt. Aber nein, ich meine das ganz ernst: Die gute alte Schwerkraft gibt es eigentlich gar nicht; was wir als Schwerkraft wahrnehmen, ist ganz etwas anderes.
Um das einzusehen, machen wir genau da weiter, wo wir im letzten Teil aufgehört haben: Wir suchen Geodäten in der Raumzeit, aber jetzt in der Nähe einer Masse, so dass die Raumzeit gekrümmt ist. Noch mal zur Erinnerung (der letzte Teil ist ja schon ein paar Tage her, weil ich ja ab und an auch mal arbeiten muss…): Eine Geodäte in der Raumzeit ist diejenige Verbindung zwischen zwei Raumzeitpunkten, auf der für ein Objekt die längste Eigenzeit vergeht. Das Beispiel mit dem Raumhelm hat gezeigt, dass das in ungekrümmter Raumzeit eine Verbindung mit konstanter Geschwindigkeit ist.
Der Einfluss der “Schwerkraft”
Also: Gesucht ist die Verbindung zwischen zwei Ereignissen auf der Erdoberfläche, die die größte Eigenzeit besitzt. Das Beispiel mit dem Frühstückstisch und der Tastatur vom letzten Mal hat wieder den Nachteil, dass hier schon zwei Raumdimensionen involviert sind – wenn wir dann noch die Zeit hinzuzeichnen wollen, dann wird es sehr unübersichtlich. Also machen wir es uns einfacher: Tippt euch noch mal auf die Nase, dann eine Sekunde später wieder (jetzt ohne Raumhelm, wir sind ja auf der Erde).
Eine Verbindung, die stationär bei eurer Nase verbleibt, hat logischerweise eine Eigenzeit von einer Sekunde. Jeder Umweg, den ihr geht, hat wie zuvor das Problem, dass dabei die Zeit (wegen der Zeitdilatation) langsamer vergeht. Zunächst könnte man also annehmen, auch hier sei die Geodäte eine Weltlinie mit Geschwindigkeit Null, die die beiden Raumzeitpunkte verbindet.
Überraschenderweise (oder auch nicht, sonst würde ich ja nicht so ein Brimborium drum machen) ist das aber falsch. Um zu verstehen, warum es falsch ist, grabe ich hier noch einmal eine Grafik aus dem ersten Teil aus:
Das war das verpatzte Rendezvous mit eurer besseren Hälfte, ihr erinnert euch hoffentlich. Es klappte nicht, weil die Zeit in unterschiedlicher Höhe unterschiedlich schnell verläuft. (Leider ist auf dem Bild die hohe Schwerkraft oben – hätte ich am Anfang schon geahnt, wie lang diese Serie mal werden wird, hätte ich einen Kartenausschnitt der Südhalbkugel genommen…)
Wir übertragen dieses Bild jetzt auf ein Diagramm, in dem ihr euch zweimal an die Nase (der Riechkolben ist Mike-Krüger-verdächtig, das liegt aber nur an meinen mangelhaften Zeichenkünsten) tippt (diesmal ist die hohe Schwerkraft unten):
Wir suchen jetzt den Weg der längsten Eigenzeit. Mit einem kleinen Umweg in den Bereich mit niedrigerer Schwerkraft können wir die Eigenzeit verlängern, ähnlich wie bei den Geodäten auf der Kugel und der Pseudosphäre. Allerdings darf der Umweg auch nicht zu groß sein, denn dann werden wir durch die Zeitdilatation auf der Umwegstrecke wieder zu stark gebremst. Die Geodäte, die sich tatsächlich einstellt, ist im Raumzeit-Diagramm eine Parabel.
Um die kürzeste Verbindung (also die mit der längsten Eigenzeit) zu bekommen, müsst ihr also erst senkrecht nach oben fliegen (dran denken: Im Diagramm ist die horizontale Richtung ja die Zeit), dabei aber immer langsamer werden, schließlich an einem Punkt stehenbleiben und dann umkehren, wobei ihr wieder schneller werdet. Kommt euch das irgendwie bekannt vor? Schon mal etwas gesehen, das nach oben flog, dabei immer langsamer wurde, bremste, umkehrte und schließlich wieder in eurer Hand landete?
Ein Ball, den ihr nach oben werft, tut genau das. Er bewegt sich auf einer Geodäte, während des Fliegens ist er kräftefrei (vom Luftwiderstand etc. mal abgesehen), so wie Astronauten beim Parabelflug, wenn sie für die Schwerelosigkeit üben. Ein geworfenen Ball folgt einer Geodäte in der Raumzeit, er fliegt also mit der längst-möglichen Eigenzeit von A nach B.
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