Falls euch der Mund jetzt nicht vor Staunen offensteht, seid ihr entweder schon ziemlich fit in Sachen Allgemeine Relativitätstheorie, oder ihr habt noch nicht gemerkt, was ich euch da gerade untergejubelt habe: Der Ball, den ihr nach oben werft, folgt einer Geodäte, genauso wie ein ruhender Ball weit weg von jeder “Schwerkraft”. Der Ball fliegt also die “optimale” Verbindung in der Raumzeit zwischen seinem Start- und seinem Ziel-Raumzeitpunkt, diejenige mit der längsten Eigenzeit. (Falls ihr euch fragt, woher der Ball am Anfang schon seinen Zielpunkt kennen soll, das erkläre ich gleich, aber das ist hier nebensächlich). Während der Ball fliegt, ist er kräftefrei. Wenn ihr den Ball fragen würdet “Wie empfindest du denn die Schwerkraft” würde er sagen (wenn Bälle reden könnten) “Schwerkraft? Merk ich nix von.”
“Ja”, sagt jetzt sicher jemand, “das ist wie mit dem alten Witz – fliegen kann ich, nur das Landen macht Probleme. Beim Aufschlagen auf die Erde oder in meiner Hand wird der Ball die Schwerkraft schon bemerken.”
Stimmt aber nicht. Was der Ball bemerkt (wenn Bälle denn auch noch etwas bemerken könnten, aber nachdem er schon reden kann…), ist eben nicht die Schwerkraft, sondern eine andere Kraft: Die Abstoßung der Elektronen in den Atomen des Balls und der Erde (oder der Hand), die den Ball daran hindert, durch die Erde (oder Hand) durchzufallen. Diese Kraft verbietet es ihm, sich weiter auf seiner Geodäte zu bewegen, und das ist es, was als Schwerkraft erscheint. Aber in Wahrheit gibt es gar keine “Schwerkraft” – es gibt nur die Raumzeitkrümmung. Wir gucken uns das gleich noch etwas genauer an, denn man braucht eine Weile, um das zu verdauen.
Qualitativ ist das Bild oben vollkommen in Ordnung, quantitativ aber hat es mit den Verhältnissen auf der Erdoberfläche nicht viel zu tun – so riesig wie im Bild ist die Zeitverschiebung mit der Höhe natürlich nicht, nicht mal auf einem Neutronenstern wäre der Effekt dermaßen stark, dass ein paar Meter einen solchen Effekt hätten (wenn ich gerade richtig gerechnet habe, dann vergeht die Zeit auf der Oberfläche eines typischen Neutronensterns etwa 5% verlangsamt gegenüber der eines weit entfernten Beobachters.) An der Erdoberfläche ist die zeitliche Verschiebung winzig – in einem Meter Höhe vergeht die Zeit um den Faktor 1,000 000 000 000 000 111 (etwa um ein zehn-Billiardstel) schneller – trotzdem reicht der Effekt aus, um diese Bahn zur Geodäte zu machen. Warum diese winzige Abweichung relevant ist, diskutiere ich weiter unten; für alle, die ein bisschen Mathematik mögen, gibt es am Ende des Artikels außerdem eine Beweisskizze.
Nebenbemerkung: Bälle können nicht hellsehen
(Diese Nebenbemerkung könnt ihr getrost überspringen, falls euch die Sache mit dem Ball, der beim Losfliegen schon wissen soll, wann er wo ankommen soll, keine Kopfschmerzen bereitet.)
Ich betrachte hier ja immer Verbindungen zwischen zwei auseinanderliegenden Raumzeitpunkten (beispielsweise jetzt und in einer Sekunde). Jetzt kann natürlich jemand (zu recht) einwenden, dass der Ball beim Losfliegen ja nicht weiß, wann er wo ankommen soll – der hat ja keinen Fahrplan. Das ist auch völlig richtig. Diese Art, die Bahn des Balles eindeutig festzulegen, hat den Vorteil, dass sie sehr schön analog zu unseren Geodäten im zweiten Teil ist, bei denen ich ja auch von Europa nach Japan geflogen bin, also Start und Ziel schon kannte.
Wenn man sich aber anguckt, wie das Flugzeug tatsächlich fliegt, dann sieht man, dass es natürlich schon beim Losfliegen in die richtige Richtung startet. Und so ist es auch beim Ball: Die Bahn des Balles kann ich auch festlegen, wenn ich seinen Startpunkt und seine Startgeschwindigkeit bestimme. Für eine eindeutige Bahnkurve braucht man immer zwei Angaben – entweder zwei Raumzeitpunkte für die Position des Balles, oder einen Raumzeitpunkt und eine Geschwindigkeit. Das Bild hier veranschaulicht das: Wenn ihr den Startpunkt und die Anfangsgeschwindigkeit festlegt (Geodäte 1), dann ist klar, dass ihr irgendwann durch den dünn markierten grünen Punkt laufen werdet; wenn ihr umgekehrt wisst, dass ihr beim grünen Punkt ankommen werdet (Geodäte 2), dann ist klar, mit welcher Geschwindigkeit ihr loslaufen müsst.
Kommentare (137)