(Mathematisch liegt das daran, dass eine Differentialgleichung 2. Ordnung dahinter steckt, die zwei Randbedingungen braucht.) Insofern braucht einem diese “zukunftsorientierte” Betrachtungsweise kein Kopfzerbrechen zu machen, man kann sie immer umrechnen in einen Anfangspunkt und eine Anfangsgeschwindigkeit.
Ähnliche Formulierungen gibt es in der Physik öfters: Vor langer Zeit habe ich mal etwas über das Prinzip der kleinsten Wirkung geschrieben, auch das Fermatsche Prinzip in der Optik funktioniert so ähnlich.
Das Äquivalenzprinzip oder: Es gibt keine Schwerkraft
Ja, ich sehe es ein: Dass es keine Schwerkraft geben soll, klingt mal wieder absurd – die Schwerkraft ist im Alltag die offensichtlichste Kraft, wir sehen und spüren ständig, dass wir von der Erde angezogen werden.
Um zu verstehen, warum es die Schwerkraft “eigentlich” nicht gibt, sondern nur die Raumzeitkrümmung, brauchen wir mal wieder eine Rakete, weit weg im Weltall ohne jedes Schwerefeld. (Normalerweise würde ich ja eine Perry-Rhodan-Space-Jet nehmen, aber die haben künstliche Schwerefelder, die jetzt etwas stören würden. Stattdessen nehmen wir die Scienceblog-Hausrakete.)
Unsere Rakete schwebt zunächst antriebslos im All. Ihre Geschwindigkeit ist also konstant, und wir können unser Koordinatensystem passend wählen, so dass die Geschwindigkeit gleich Null ist. Die Rakete bleibt an ihrem Ort und folgt damit der Geodäte, die ja eine gerade Linie im Raum-Zeit-Diagramm ist (erinnert euch an die entsprechende Situation mit dem Raumhelm im letzten Teil).
Dann, nach einem Moment, zünden wir die Triebwerke:
Unsere Rakete wird nach oben beschleunigt, die Weltlinie verläuft also gekrümmt. Im Raumschiff spüren wir, wie wir von der Beschleunigung in unsere hoffentlich bequemen Sessel gedrückt werden. Die Beschleunigung schiebt uns von der Geodäte weg, und genau deshalb spüren wir sie (denn auf der Geodäte sind wir ja kräftefrei). Nach einem Moment haben wir eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht. Auch an diesen Raumzeitpunkt können wir wieder eine Geodäte dranzeichnen (die zweite blaue Linie), aber auch hier ist uns kein Glück beschieden: Wir werden wieder von der Geodäte wegbeschleunigt.
Zu jeden Zeitpunkt können wir eine Geodäte an unseren aktuellen Raumzeitpunkt zeichnen, die auch zur aktuellen Geschwindigkeit passt, aber jedesmal werden wir von der Geodäte wegbeschleunigt, und genau das ist es, was wir als Kraft spüren, die uns in die Sessel drückt.
Wer will, kann das als “Grund” dafür ansehen, dass in der Physik Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist, dass also die zweite Ableitung nach der Zeit eingeht, nicht etwa die erste (mit konstanter Geschwindigkeit könnten wir auf der Geodäte bleiben) und auch nicht die dritte (dann könnten wir uns mit der zweiten Ableitung von der Geodäte entfernen, ohne eine Kraft zu spüren). Man sieht an diesem Argument auch, (siehe auch das Bild unten), warum man in einer infinitesimalen Umgebung eines Raumzeitpunktes immer ein Lorentz-Bezugssystem finden kann – die Abweichung von der Geodäte ist ein Effekt zweiter Ordnung.
Und jetzt zurück aus dem Weltall auf die Erde. Stellt euch einfach auf den Erdboden und bleibt an der Stelle stehen. Eure Weltlinie ist eine horizontale Linie. Die Geodäten aber entsprechen ja genau den Weltlinien, die ein frei fallender Ball verfolgen würde – und der würde mit stetig zunehmender Geschwindigkeit nach unten fallen (das bild ist nicht ganz sauber, denn die Geodäten müssten genau tangential zur horizontalen Linie beginnen, weil die Anfangsgeschwindigkeit des Balls ja Null wäre, das ist mir nicht ganz gelungen):
Wenn ihr die beiden Bilder vergleicht, dann seht ihr, dass sie viel gemeinsam haben: In beiden Fällen bewegt ihr euch von der Geodäte weg. Einmal sind die Raketentriebwerke verantwortlich, das andere Mal die Erdoberfläche, die euch am Fallen hindert. Bei der Rakete spürt ihr dieses “wegbeschleunigen” von der Geodäte als Kraft. Und genau so ist es auch auf der Erde – ihr spürt keine “Schwerkraft”, sondern ihr spürt, wie euch der Boden von eurer Geodäte wegbeschleunigt. Und weil das kontinuierlich so ist, spürt ihr auch eine konstante Kraft, genauso wie in der Rakete.
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