Hier könnt ihr drehen, wie ihr wollt, die Verdrillung verschwindet nicht. Ihr könnt zwar das linke Gummi geradedrehen, dafür verdrillt sich dann das rechte Gummi. (In zwei Dimensionen wird das noch komplizierter, ähnlich wie oben.) Das Eichfeld hat jetzt eine Existenz unabhängig von der Richtung der Pfeile bekommen. Ich kann immer noch Scheiben und damit die Gummis verdrehen (“lokal die Eichung ändern”), aber egal wie ich das anstelle, die Verdrillung bleibt.
Und diese Verdrillung hat interessante Konsequenzen. Wenn ihr zum Beispiel bei einem Pfeil losmarschiert und den Wert dieses Pfeils mit einem vergleicht, der im Nordosten, liegt, dann hängt das Ergebnis vom Weg ab, den ihr geht – im einen Fall scheinen die beiden Pfeile in dieselbe Richtung zu zeigen, im anderen nicht (In rot eingezeichnet, wie sich der Pfeil auf dem einen Pfad dreht, in blau der “unverdrillte” Weg, ich hoffe, ihr könnt das Gekritzel deuten – das erste Gummi soll um etwa 45° in der einen Richtung verdrillt sein, das zweite um etwa 90° in die andere Richtung):
Laufe ich einmal im Quadrat zu meinem Ausgangspunkt zurück, dann ergibt sich eine Diskrepanz zwischen der Orientierung, mit der ich losgelaufen bin und der mit der ich ankomme.
Man kann also jetzt zwei Arten von Verdrillungen unterscheiden: Eine bloße Änderung der Eichung bedeutet, dass ich eine Scheibe irgendwie drehe, dabei drehen sich die dranhängenden Gummibänder alle so, dass ich keinen Unterschied bemerke. Löse ich dagegen ein Gummiband von seiner Scheibe, verdrille es, und klebe es wieder fest, dann merke ich das, wenn ich zum Beispiel ein Quadrat abgehe.
(Aufmerksame Hier-wohnen-Drachen-Leserinnen fühlen sich jetzt vielleicht an den Paralleltransport aus der Relativitätstheorie erinnert. Zu recht – die Mathematik dahinter ist nahezu identisch. Auch dort konnten wir “lokal umeichen” – nämlich unser Koordinatensystem frei wählen. Wer das – mathematisch anspruchsvoll – nachlesen will, greift am besten zum Buch von Penrose, aber auch der Misner,Thorne, Wheeler erklärt dazu einiges.)
Was sind denn nun diese Eichfelder?
Und wie wird aus dem ganzen Konstrukt hier nun echte Physik? Diese ganze Gummibandverdreherei ist ja vielleicht ganz hübsch, aber das Universum besteht ja nicht aus Einmachgummis und Pappscheiben.
Um echte Physik zu bekommen, müssen wir die Pfeile mit einer bestimmten quantenmechanischen Größe identifizieren. (Hinweis für die Expertinnen: Nämlich mit der Phase der Wellenfunktion des Elektrons oder eines anderen geladenen Teilchens.) Wenn wir annehmen, dass diese Größe lokal eichinvariant ist, dann müssen wir ein entsprechendes “Gummibandfeld” einführen. Aus den Gleichungen, die aus dieser Annahme resultieren, kann man Gleichungen für das “Gummibandfeld” ableiten.
Und jetzt kommt der Hammer: Diese Gleichungen sind genau die Gleichungen für die elektromagnetischen Potentiale, die man schon lange kennt. Die Gleichungen des Elektromagnetismus folgen also quasi direkt aus der Annahme der Eichinvarianz. Das ist schon elegant, oder?
Auch die Verdrillung, die sich ergibt, wenn ich ein Quadrat ablaufe, hat eine Entsprechung in einer bekannten Größe: Laufe ich ein Quadrat in der x-y-Ebene ab, einmal den einen Weg, einmal den anderen, so wie oben im Bild, und es ergibt sich eine Diskrepanz zwischen dem roten und dem blauen Pfeil, dann entspricht das mathematisch genau einem Magnetfeld (und zwar einem in z-Richtung). Liegt das Quadrat in der x-z-Ebene, dann ist es ein Magnetfeld in y-Richtung. Und wenn ich das Quadrat so lege, dass zwei seiner Seiten in die Zeitrichtung (es gibt ja eine Raumzeit) zeigen, dann entspricht die Diskrepanz einem elektrischen Feld.
Also nochmal im Schnelldurchlauf, damit ihr seht, warum das so faszinierend ist: Nur aus der Forderung der lokalen Eichsymmetrie für eine bestimmte quantenmechanische Größe folgt nahezu von selbst die altvertraute Elektrodynamik (bzw. ihre quantenmechanische Entsprechung).
Das allein wäre ja schon ein Grund, die Idee einer Eichsymmetrie ziemlich cool zu finden. Aber das ist noch längst nicht alles.
Kommentare (36)