Andere Eichtheorien
Zu den bekanntesten Elementarteilchen gehören ja neben den Elektronen auch die Neutrinos. Stellt euch wieder eine Anordnung von Pfeilen vor (das ist jetzt ein bisschen vereinfacht). Jetzt soll eine Position des Pfeils ein Elektron beschreiben, eine um 90° verdrehte ein Neutrino. Also zum Beispiel: Pfeil rauf: Elektron; Pfeil nach rechts: Neutrino. Durch Drehen des Pfeils könnte ich ein Elektron in ein Neutrino umwandeln. Das geht natürlich nicht einfach so (schon deswegen nicht, weil Elektronen eine elektrische Ladung haben, Neutrinos nicht), also muss wieder ein Eichfeld her, das alles kompensiert, was sich durch die Umwandlung des Elektrons in ein Neutrino ändert (eben beispielsweise die Ladung).
Dieses Elektronen-Umwandlungs-Eichfeld sollte man dann auch physikalisch messen können – es müsste sich als ein neues Elementarteilchen äußern. Und genau so ein Elementarteilchen gibt es, es ist das W-Boson, manchmal auch Eichboson genannt (und jetzt wisst ihr auch warum). Das gleiche W-Boson kann übrigens nicht nur Elektronen und Neutrinos ineinander umwandeln, sondern auch andere Teilchen, beispielsweise Quarks.
Ende der sechziger Jahre haben Weinberg, Glashow und Salam genau das getan, was ich hier gerade erklärt habe: sie haben angenommen, dass die Umwandlung von Elektronen in Neutrinos nach dem Eichprinzip möglich sein müsste und das ganze sauber durchgerechnet (was nicht ganz so leicht ist, wie man hier vielleicht denkt). Dafür gab es dann 1979 den Nobelpreis. Die Theorie heißt “elektroschwache” Theorie, weil man die Eichbosonen und das elektromagnetische Feld nur dann korrekt mathematisch beschreiben kann, wenn man sie gemeinsam behandelt, sie lassen sich nicht völlig voneinander trennen. Diese schmutzigen Details erspare ich mir (und euch…), die Theorie funktioniert nämlich eigentlich nur, wenn die neu hinzukommenden Eichteilchen masselos sind, was aber nicht stimmt. Deshalb musste man gleich noch das Higgs-Teilchen miterfinden, dass den anderen Teilchen ihre Masse gibt.
Ihr seht also, die Idee der “Eichsymmetrie” hat schon einen ziemlichen Charme – man nimmt an, dass man der Natur ein X für ein U vormachen kann und guckt dann, ob es das physikalische U-nach-X-Umwandelteilchen gibt. Bei der Phase ist das Teilchen das Photon, bei der Umwandlung von Elektronen in Neutrinos ist es das W-Boson. (Ein Z-Boson gibt es auch noch, das hatten Weinberg und Kollegen aus der Theorie gefolgert und es wurde auch 1983 gefunden.)
Und mit der Eichsymmetrie kann man noch mehr machen – ein ganz ähnlicher Mechanismus, wie wir ihn gerade genommen haben, um den Elektromagnetismus wiederzuentdecken, kann auch dazu dienen, die Anziehungskräfte zwischen den Quarks zu erklären. Dazu muss man mehr Richtungen für die Pfeile erlauben als bloß eine Drehung auf einer Scheibe. Am Ende ergibt sich die Theorie der Quantenchromodynamik. Die zugehörigen Eichbosonen heißen Gluonen (weil sie die Quarks “verkleben”).
Wir erfinden neue Theorien
Und jetzt stellt euch vor, ihr wärt Physiker oder Physikerin auf der Suche nach einer neuen, fundamentaleren Elementarteilchentheorie. Was schon dreimal (für den Elektromagnetismus, die schwache Kernkraft und die Gluonen) geklappt hat, klappt doch bestimmt noch einmal. Also: Was könnte man denn noch so alles ineinander umwandeln?
Vielleicht könnte man ja Elektronen oder Neutrinos auch in Quarks umwandeln? Das wäre doch auch hübsch symmetrisch, dann wären das nur unterschiedliche Varianten derselben Teilchen, so wie in der elektroschwachen Theorie Elektron und Neutrino quasi zwei Seiten derselben Medaille sind.
Herzlichen Glückwunsch, ihr habt gerade die Große Vereinheitlichte Theorie (GUT, grand unified theory) erfunden. O.k., ihr habt ein kleines Problem – wenn sich Quarks in Elektronen umwandeln können, warum tun sie das nicht dauernd? Protonen, die aus Quarks bestehen, sind ja glücklicherweise ziemlich stabil (sonst würde ich hier nicht sitzen) – warum zerfallen sie nicht? Ihr müsst die Parameter der Theorie so anpassen, dass sie mit den Beobachtungen zusammenpassen, aber das lässt sich machen. Es gibt sogar ziemlich viele Varianten dieser Theorien, die mit mathematischen Kürzeln für die jeweiligen Symmetrien, die man reinsteckt, versehen werden – SU(5), SO(10), E8. Je mehr Symmetrieoperationen man erfindet, desto “hübscher” ist das ganze mathematisch. Das zeigt zum Beispiel eine grafische Repräsentation der Gruppe E8 (von Wikipedia):
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