Wenn ihr beispielsweise einen dünnen und leichten Faden mit einem Gewicht dran in die Hand nehmt, den Ellbogen aufstützt und den Faden einfach herunterhängen lasst, dann würdet ihr vermutlich erwarten, dass der Faden nach kurzer Zeit zur Ruhe kommt. Tut er aber nicht, er schwingt typischerweise ein wenig hin und her. Mit ein bisschen Konzentration könnt ihr – ohne dass ihr bewusst eure Hand bewegt – das Gewicht zum Kreisen bringen. Die Anregung sind kleine Veränderungen in der Handhaltung und Muskelspannung, die wir nicht bemerken, so dass es scheint, als würde das Pendel “von selbst” zu schwingen anfangen. Die esoterischen Anwendungen dieses Prinzips sind sicherlich bekannt (ansonsten empfehle ich ein bisschen googeln nach Worten wie “Schwingung”, “Auspendeln” etc.).
Ein anderes bekanntes Beispiel einer Resonanzkatastrophe ist die Opernsängerin, die mit ihrem Gesang Weingläser oder gar Fensterscheiben zum Zerspringen bringt. Die Mythbusters gezeigt, dass das tatsächlich funktioniert:
Allerdings braucht man ein dünnes Weinglas und ziemlich viel Übung. Im Physik-Experiment mit Lautsprecher geht es “etwas” einfacher, wie dieses Video an der UCLA zeigt.
Damit das Glas zerspringt, muss man die Resonanzfrequenz des Glases ziemlich genau treffen. Kann man also jedes System zur Resonanzkatastrophe bringen, wenn man nur seine Resonanzfrequenz trifft? Dazu zurück zu unserem (bzw. Walter Fendts) Resonanz-Applet. Lasst die Anregungsfrequenz bei 3.16, aber erhöht die Dämpfung auf 0.3 statt 0.2:
Wie ihr seht, wird die Resonanzkatastrophe knapp vermieden.
Wenn ihr die Dämpfung noch weiter erhöht, dann wird die Resonanz immer schwächer. Auch das könnt ihr im Applet ausprobieren – klickt dazu auf den Knopf “Amplitude diagram” und variiert die Dämpfung:
In dem Diagramm ist jetzt auf der horizontalen Achse die Anregungsfrequenz aufgetragen, auf der vertikalen Achse die maximale Auslenkung. Wenn ihr die Dämpfung ändert, dann seht ihr, dass das Maximum immer niedriger wird.
Damit es zur Resonanzkatastrophe kommen kann, muss man also nicht nur die Resonanzfrequenz möglichst genau treffen – das schwingende System muss auch einigermaßen “frei” schwingen können und darf nicht zu stark gedämpft sein. Deswegen eignet sich ein dünnes Weinglas mit einem langen Stiel besser als echter Senfkristall mit dicken Glaswänden und einer großen Auflagefläche am Boden, und deswegen sind lange, schmale Brücken auch gefährdeter als kurze breite. (Natürlich ist auch die Resonanzfrequenz jeweils eine andere.)
Auch euer Kind macht nicht gleich einen Überschlag auf der Schaukel; zum einen, weil die Dämpfung das verhindert, aber da kommt noch etwas zusätzliches ins Spiel: wenn die Amplitude sehr groß wird, dann ist eine Schaukel nicht mehr “linear” – Die rückstellende Kraft und die Auslenkung sind nicht mehr proportional zueinander. Bei einer Feder ist das ähnlich: Wenn sie sich zu stark zusammenzieht, dann treffen die Spiralen aufeinander und das war’s, wenn sie sich zu stark dehnt, dann fängt das Material an, sich plastisch zu verformen. Für die Resonanzkatastrophe muss das Verhalten des Systems also auch bei großen Auslenkungen unverändert bleiben, sonst wird die Katastrophe auch verhindert.
Ich hoffe, ich habe euch überzeugt, dass an der Resonanzkatastrophe nichts “geheimnisvolles” ist. Eine Sache mag euch aber immer noch merkwürdig vorkommen: Bisher hatten wir Resonanz immer dadurch erreicht, dass die Anregung genau die Eigenfrequenz getroffen hat. Beim Weinglas mag das ja noch angehen – aber bei einer Brücke? Soll der Wind über Stunden genau im passenden Rhythmus gepustet haben? Wie wahrscheinlich ist das denn?
Nachtrag 2 Wie oben erläutert, lag bei der Tacoma-Brücke eben keine erzwungene Schwingung vor, die mit einer bestimmten Frequenz angeregt werden musste.
Ein schwingendes System muss aber nicht ganz exakt mit seiner Eigenfrequenz angeregt werden, oder jedenfalls nicht nur. Die Lösung steckt in einem wundervollen bisschen Mathematik (das ich euch nicht vorrechne, das wäre einen eigenen Text wert), der Fourier-Transformation (oder Fourier-Reihe): Ein chaotisch fluktuierendes Signal kann man sich aus lauter verschiedenen Frequenzen zusammengesetzt vorstellen. Wenn also der Wind in heftigen Böen weht, die immer wieder anschwellen und abklingen, dann entspricht dies einem Haufen verschiedener Frequenzen. (Das ist so ähnlich wie bei den Obertönen von Musikinstrumenten.) Es ist natürlich trotzdem schon ein bisschen “Glück” (oder im Fall der Tacoma-Brücke Pech) notwendig, damit die Eigenfrequenz hinreichend gut getroffen wird – außerdem muss die Dämpfung klein genug sein, damit die Schwingung bei einer kurzen Flaute oder einem Zeitraum, in dem die entsprechende Frequenz nicht passt, nicht abklingt. Deswegen krachen Brücken ja auch nicht ständig und reihenweise im Wind zusammen – die werden hinreichend gut gedämpft (ähnlich wie bei Erdbebendämpfern), so dass so etwas nicht noch einmal vorkommt.
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