Wenn der Schwerpunkt sich nach unten bewegt, dann wird seine Bewegung von den Muskeln gebremst, bis er den tiefsten Punkt erreicht. An diesem Punkt ist (bei einer Feder) die Kraft am größten. Dann wird der Schwerpunkt wieder nach oben beschleunigt. Falls die Beschleunigung groß genug ist, verlässt der Fuß den Boden, der Schwerpunkt bewegt sich auf einer Wurfparabel, und dann geht das Spiel von Vorn los. Wir nehmen wieder das Bild von oben zur Hand, diesmal aber mit eingezeichneter Kraftkurve:

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(Entnommen aus dem Artikel “Intelligence by mechanics”, Blickhan et al.)

Die unten aufgetragene Kraft ist die Kraft, die auf den Boden übertragen wird. Im zeitlichen Mittel muss sie genau gleich mg sein, wenn m die Körpermasse und g die Schwerebeschleunigung ist, denn im Mittel bleibt ja der Schwerpunkt auf einer Höhe. Diese Kraft bezeichnet man als Reaktionskraft oder kurz GRF (“ground reaction force”).

Der Kraftverlauf (beim Laufen) ist dabei etwa sinusförmig. Das ist natürlich nur ein Modell, aber Experimente (bei denen man Tiere über Kraftmessplattformen laufen lässt) zeigen, dass das eine durchaus brauchbare Annahme ist. Die berechneten Ergebnisse sind übrigens nicht so sehr sensitiv gegen diese Annahme – verwendet man eine Dreiecks- oder Trapezkurve, ändern sich die Ergebnisse zwar ein wenig, aber nicht dramatisch (andere Unsicherheiten fallen stärker ins Gewicht.)

Die Schrittmitte entscheidet
Der Einfachheit halber können wir tatsächlich mal mit einer Dreiecks-Kurve rechnen. Nehmt also an, die Kurve für den Kraftverlauf für einen Halbschritt (ein Bein kommt in Bodenkontakt und verlässt den Boden wieder) sähe so aus:

i-293df8fd6c3f03c3ba97be5a92e9426d-grf.jpg

Die mittlere Kraft, die vom Bein während eines Schrittes aufgebracht wird, muss ja gleich dem Körpergewicht sein. Nehmen wir den einfachsten Fall, bei dem ein Bein immer genau den Boden berührt, wenn das andere ihn verlässt. Jedes Bein ist dann genau 50% eines Schrittes in Bodenkontakt (man nennt diesen Wert auch den “duty factor” – zu deutsch heißt das so etwa “Lastverhältnis”, aber leider kenne ich den deutschen Fachausdruck nicht wirklich – das kommt davon, wenn man nur internationale Forschungskollegen hat…). Weil also unser Bein in der Zeit seines Bodenkontakts im Mittel genau das Körpergewicht an Kraft aufbringen muss, ist es keine Hexerei, an der Grafik oben abzulesen, dass die maximale Reaktionskraft genau das Doppelte des Körpergewichts sein muss. (Nimmt man einen Sinusverlauf, dann ist der Faktor nicht 2, sondern nur 1,6, also etwas günstiger.)

Ist die maximale Reaktionskraft größer als das, dann muss die Zeit des Bodenkontakts für dieses Bein kleiner als 50% der Schrittzeit sein – sonst würden wir im Mittel mehr als das Körpergewicht an Kraft aufbringen und der Schwerpunkt müsste immer weiter nach oben wandern. Der “duty factor” wäre also kleiner als 50%. Bei der einfachen Dreieckskurve gilt, dass der Maximalwert der Reaktionskraft gerade gleich dem Kehrwert des “duty factor” ist: G=1/β (G=max GRF, β=”duty factor”). Für den Fall einer Sinuskurve ergibt sich stattdessen
G= π /(4β)

Die Maximalkraft in der Schrittmitte entscheidet also über den “duty factor” – und natürlich kann man um so schneller rennen, je kleiner der “duty factor” ist, denn dann werden die “Schwebphasen”, in denen kein Bein Bodenkontakt hat, immer größer und die Schrittlänge steigt entsprechend auch.

Stattsich also Gedanken über den ganzen Schritt zu machen, kann man auch nur den Punkt angucken, bei dem die Kraft am größten ist und versuchen, daraus seine Schlüsse zu ziehen.

Die Muskelmasse

Und genau das war die Idee von John Hutchinson. Die maximale Kraft in der Schrittmitte muss ja irgendwoher kommen – vielleicht kann man also ausrechnen, wieviel Muskeln man braucht, um diese Kraft zu erzeugen.

Dazu muss man natürlich eine Idee haben, welche Kräfte die Muskeln erzeugen können. Die Kraft, die eine Muskelfaser pro Querschnittsfläche erzeugen kann, ist von vielen Dingen abhängig – beispielsweise von der aktuellen Dehnung der Faser. Experimente an heutigen Tieren zeigen aber, dass die Maximalkraft etwa 300 Kilopascal (also 300000 N/m2) beträgt. Wenn man also diesen Wert annimmt, dann sollte man tendenziell eine zu niedrige Muskelmasse berechnen, weil Muskeln in den meisten Fällen weniger Kraft aufbringen als das.

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Kommentare (9)

  1. #1 Dr. Webbaer
    29. April 2011

    Schöner Artikel, hübsches Bild ganz unten!
    MFG, DrW

  2. #2 Jürgen Bolt
    30. April 2011

    Einmal mehr herzlichen Dank! Besonders für diesen Satz: “Da Sehnen aber immer an Muskeln befestigt sind, ändern sie nichts an der aufzubringenden Kraft (wohl aber an der zu leistenden Arbeit).” Das ist natürlich völlig richtig, ich habe es aber bisher nicht so klar gesehen.

  3. #3 Jürgen Bolt
    30. April 2011

    Einmal mehr herzlichen Dank! Besonders für diesen Satz: “Da Sehnen aber immer an Muskeln befestigt sind, ändern sie nichts an der aufzubringenden Kraft (wohl aber an der zu leistenden Arbeit).” Das ist natürlich völlig richtig, ich habe es aber bisher nicht so klar gesehen.

  4. #4 Jürgen Bolt
    30. April 2011

    Einmal mehr herzlichen Dank! Besonders für diesen Satz: “Da Sehnen aber immer an Muskeln befestigt sind, ändern sie nichts an der aufzubringenden Kraft (wohl aber an der zu leistenden Arbeit).” Das ist natürlich völlig richtig, ich habe es aber bisher nicht so klar gesehen.

  5. #5 stl
    30. April 2011

    Super Artikel, nur… warum wurde er nicht mit einem Känguruh verglichen, der T Rex? Die sähen sich körperlich oberflächlich ähnlicher allerdings kann ich mir einen so hopsenden T Rex nicht vorstellen (was, weiß ich, nichts zu sagen hat). Ein Schritt, ein Erdbeben. Oder wurde er? Rex war nur zu groß? Und die Sache mit dem kontrollierten Fallen und dem Test – ich habe Muskelkater 😉

  6. #6 MartinB
    30. April 2011

    @stl
    Nein, biomechanisch passt ein Känguru gar nicht – da sind ide Bein/Fuß-Proprtionen ganz andere und auch die Hebelarme der Muskelansätze. Kängurus Stehen/hüpfen ja auf dem Fuß, nicht nur auf den zehen wie ein T. rex:
    https://www.sammlungen.hu-berlin.de/media2/sammlung/dokument/0000/0000/0000/0000/0000/0004/4483/content.800.jpg
    Richtig ist aber, dass man solche Vergleiche vor 100 Jahren mal gemacht hat – ganz abwegig ist die Idee also nicht.

    @Jürgen
    Ja, das ist lustig – die Frage nach den Sehnen kommt nämlich *immer*, obwohl sie mit einem Satz beantwortet werden kann, selbst von erfahrenen Biomechanikern. Manchmal sieht man halt die naheliegendsten Sachen nicht.

  7. #7 Christian A.
    30. April 2011

    Aber das erzähle ich dann im dritten Teil der wie üblich nicht enden wollenden Geschichte…

    Kanns kaum erwarten 🙂

  8. #8 Wiete
    7. Oktober 2014

    Frage: Wie groß war denn nun die Schrittfolge eines bsp. rennenden T-Rex, also Längenabstand zw. den Hinterläufen?

  9. #9 MartinB
    8. Oktober 2014

    @Wiete
    Ja, gute Frage. Bei gehenden Sauriern kennt man einige Fußabdrücke großer Theropoden, bei denen die Schrittlänge etwa 1,70m war (von einem fuß zum nächsten) bei Fußlänge 65cm. Fußabdrücke großer schnell laufender Tyrannosaurier haben wir nicht (vermutlich, weil ein großer Dino da, wo fußabdrücke gut erhalten bleiben, nicht schnell läuft, weil es zu matschig ist).

    Man kann natürlich ein bisschen mit den Daten spielen, wie ich das im 3. teil gemacht habe. Explizit ausgerechnet habe ich die Schrittlänge nie, soweit ich mich entsinne, aber wenn man eine Spitzengeschwindigkeit von etwa 40km/h nimmt (relativ hoch), dann sind das 11m/s. Ein Strauß hat eine Schrittfrequenz von etwa 2Hz bei 7m/s; ein T.rex sollte weniger haben. Schätzt man 1,5 Hz ab, dann wären das 7.33 Meter für einen kompletten Schritt, also etwa 3,6Meter zwischen dem linken und dem rechten Fuß. Das ist aber schon ziemlich weit an der Grenze (der duty factor dürfte da schon grenzwertig sein) und nur eine grobe Abschätzung.