Wir erstellen ein Kladogramm
Und wie baut man nun so ein Kladogramm zusammen?
Zunächst muss man sich entscheiden, welche Tiergruppe man untersuchen will. Theoretisch könnte man natürlich alle Tiere gleichzeitig bearbeiten, aber angesichts von einigen Millionen Arten ist das vielleicht etwas mühsam. Also beschränkt man sich auf eine bestimmte Gruppe – möglichst eine, bei der man sich auch auskennt und Zugriff auf die entsprechenden Fossilien (oder Daten darüber) hat.
Nehmen wir also an, ich hätte euch mit meiner Begeisterung für den Plateosaurus angesteckt (als Physiker darf ich ja auch mal etwas weit hergeholte Annahmen machen), und wir wollten ein Kladogramm für die urtümlichen Sauropoden machen (die man oft als “Prosauropoden” bezeichnet – aber ob das zulässig ist, müssen wir noch diskutieren).
Als erstes überlegen wir also, welche Arten zu dieser Gruppe dazugehören – wie beispielsweise Plateosaurus, Riojasaurus usw.
Als zweites brauchen wir eine “Outgroup” (Im Deutschen Außengruppe – Dank an Rainer) – das ist eine (oder mehrere) fossile Art, die sehr gut bekannt ist und von der wir schon im Vorfeld sicher sind, dass sie den untersuchten Arten nahe verwandt ist, aber definitiv weiter unten am Kladogramm angesiedelt sein muss – so wie das oben im Beispielkladogramm zu sehen ist. In der gezeigten Analyse der “Prosauropoden” gehörten dazu Coelophysis (ein anderer meiner Lieblingsdinos), Eoraptor, Herrerasaurus und noch ein paar andere. Diese Outgroup dient sozusagen als Verankerung für die Analyse – die Art, die mit ihren Merkmalen am dichtesten an der Outgroup dran ist, ist mit ihr vermutlich am engsten verwandt und somit “basal”. Im Beispiel hier ist das Saturnalia.
Und jetzt beginnt die Arbeit: Man erstellt eine Liste mit Merkmalen, die bei den einzelnen Arten relevant erscheinen, die also zwischen ihnen variieren. Im gezeigten Cladogramm hier hat diese Liste 292 Merkmale – beispielsweise
Merkmal 1) Schädellänge mehr als halb so groß wie der Oberschenkel (0); weniger als halb so groß (1)
oder
Merkmal 236) Kleiner Trochanter (ein Muskelansatzpunkt) am Oberschenkel gut ausgeprägt (0) oder abwesend oder stark reduziert (1)
Diese Merkmale werden jetzt für alle untersuchten Arten (im Beispiel 38) untersucht – macht also schlappe 292*38=11096 Einzelmerkmale. Plateosaurus bekommt beispielsweise bei Merkmal 1) eine 1, weil der Schädel eben kürzer als die halbe Oberschenkellänge ist usw. Wenn man ein Merkmal nicht kennt – weil zum Beispiel ein Knochen nicht fossil erhalten ist, bekommt der Wert ein Fragezeichen “?”. Am Ende landet man dann für jede Art bei einer Liste, die etwa so aussieht:
Riojasaurus
1011??1??0001111100111?011??0?00?1010?0000100000001100??100? 10101?0???10110010001110??10000100010001001100001100?10100000 10010010000001?1010001?10000?????001010111{01}0011101100000111 111??111011101100111?0?01001111010101200001010000101010100100 11011001101001001?0001??0000011111010110001000?10??
Wer genau aufgepasst hat, hat ein Merkmal mit dem Wert “2” gefunden – manchmal hat ein Merkmal mehrere mögliche Zustände, beispielsweise
144) Verhältnis von Rückenwirbellänge zu -höhe: > 1(0); 1-0.7 (1), <0.7 (2)
(Falls jemand fragt, was die geschweiften Klammern bedeuten – da bin ich leider überfragt. Falls jemand Bescheid weiß, bin ich wie immer für einen Kommentar dankbar.)
Diese riesige Matrix füttert man in einen Computer ein (wobei man sich möglichst nicht vertippen sollte). Der Computer verwendet jetzt ein Optimierungsverfahren, um die Arten so in einem Kladogramm anzuordnen, dass man möglichst wenige Veränderungen (sozusagen Evolutionsschritte) benötigt. Beispielsweise haben Riojasaurus und Plateosaurus bei den Merkmalen 1-4 die Werte 1011; Coloradisaurus dagegen hat ?001. Das Fragezeichen werten wir nicht, aber bei Merkmal Nummer 3 hat sich hier etwas geändert, das zählt dann als ein Evolutionsschritt. Massospondylus und Adeopapposaurus haben beide 1010, Lufengosaurus hat 10?1.
Der Übersicht halber hier nochmal in Tabellenform:
Plateo/Rioja: 1011
Coloradi: ?001
Adeop/Masso: 1010
Lufengo: 10?1
Aus dem ersten Merkmal lernen wir nichts, das ist bei allen gleich oder unbekannt, das zweite Merkmal ist ebenfalls bei allen gleich. Bei den Merkmalen 3 und 4 haben wir die Kombinationen 11, 01, 10 und ?1. Um im Kladogramm vom Lufengosaurus zum Massospondylus (und Adeopopposaurus) zu kommen, müssen wir ein Merkmal verändern, nämlich das Vierte von 1 auf 0 (also ein Schritt). Am Gabelungspunkt zwischen Adeo/Masso und Coloradi muss sich das dritte Merkmal so oder so einmal ändern, egal ob es beim Lufengo nun Null oder 1 war (2. Schritt). Bei Coloradi ist das dritte Merkmal auf Null, aber bei Plateo/Rioja ist es wieder auf 1, das gibt also noch einen Schritt (3. Schritt).
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