Um die Dinos so anzuordnen wie im Kladogramm, benötigt man insgesamt also 3 evolutionäre Veränderungen.
Der Computer geht natürlich andersherum vor – er hat ja kein Kladogramm vorliegen, sondern sucht jetzt dasjenige, bei dem die wenigsten evolutionären Schritte benötigt werden. (Wie wir am Beispiel gesehen haben, kann dabei ein Merkmal aber durchaus mehrfach verändert werden, das wird dann eben durch andere Merkmale kompensiert.) Dabei kommt man natürlich nicht mit wenigen Merkmalen aus – mit unseren vier Merkmalen oben würde man weniger Schritte brauchen, wenn man Plateo und Rioja neben Lufengo anordnet, dann einmal Merkmal 3 und einmal Merkmal 4 ändert. Wieviele Merkmale man benötigt, hängt von vielen Faktoren ab – generell sollte die Zahl der Merkmale deutlich höher sein als die der Arten (im Beispiel waren es ja 292 zu 38).
Am Ende spuckt der Computer ein (oder mehrere gleichwertige) Kladogramm aus – zusätzlich auch noch diverse statistische Größen, die angeben, wie “gut” das Kladogramm ist, also beispielsweise, ob man mit nur wenig mehr Schritten ein ganz anderes Bild erhalten könnte. Die dahinter steckenden Algorithmen und die Analyse der Qualität eines Kladogramms sind wieder eine Wissenschaft für sich (aber da kenne ich mich nicht gut genug aus, um das im Einzelnen zu erklären).
Das fertige Kladogramm ist eine evolutionäre Hypothese: Unter der Annahme, dass die Evolution möglichst einfach verlaufen ist (Parsimonie – letztlich eine Anwendung des berühmten Ockhamschen Bartentferners) stellt es die wahrscheinlichsten Verwandtschaftsbeziehungen dar.
Gegenüber der klassischen Methode hat es den Vorteil, dass jede Forscherin ihre Karten auf den Tisch legen muss – jeder kann sehen, welche Merkmale verwendet wurden und welche nicht und kann die Datenmatrix um weitere Merkmale erweitern oder ungeeignete Merkmale (dazu gleich mehr) entfernen.
Probleme
Dank der Kladistik wurde aus der Kunst des Stammbaumerstellens also eine Wissenschaft – jede Paläontologin kann die verwendeten Daten, die in die Matrix eingehen, nachprüfen und nachvollziehen, wie daraus das Kladogramm wurde. Ist damit also das Erstellen von Kladogrammen vollkommen objektiv?
Leider nein. Denn welche Merkmale in eine Matrix einfließen und wie diese Merkmale gezählt werden, bleibt der Paläontologin überlassen, die das Kladogramm erstellt. Beispielsweise haben Pferde nur einen Zeh, Menschen dagegen 5. Zählen wir das als ein Merkmal, das 5 Werte annehmen kann (Zahl der Zehen: 1,2,3,4,5)? Oder Zählen wir den Verlust jedes Zehs als ein eigenes Merkmal (1. Zeh verloren: ja/nein, 2. Zeh verloren: ja/nein)? Oder sollten wir vielleicht jeden Zehenknochen einzeln zählen (1. Glied 1. Zeh verloren: ja/nein usw?)
Manche Merkmale ändern sich häufig, beispielsweise die Zahl der Wirbel bei Dinosauriern. Soll man den Verlust jedes einzelnen Schwanzwirbels als eigenes Merkmal zählen? Dann würde man nahezu zwangsläufig alle Dinos mit kurzen Schwänzen in einer Gruppe wiederfinden, weil diesem Merkmal dann ein hohes Gewicht zukäme. Oder soll man – so wird es meistens gemacht – Merkmale so definieren: Zahl der Schwanzwirbel: 1-10 oder 11-15 oder 16-24 oder… Dann hat man ein Merkmal mit mehreren (geordneten) möglichen Werten. Aber wo soll man dann genau die Grenze ansetzen?
Auch eine ungünstige Wahl der betrachteten Fossilien kann das Bild verfälschen. Nehmen wir beispielsweise an, wir hätten vom Riojasaurus und von Efraasia nur Skelette von nicht ausgewachsenen Tieren. Dann wäre das Verhältnis Augengröße zu Schädelgröße kein gutes Merkmal, weil jüngere Tiere tendenziell größere Augen haben – wir würden also die beiden möglicherweise gemeinsam gruppieren, weil sich jüngere Tiere generell immer ein wenig ähneln. Eventuell ist es also besser, solche Fossilen gar nicht in die Analyse aufzunehmen. Es braucht also schon ein bisschen Erfahrung, um hier keinen Mist zu bauen.
Auch andere Phänomene können Kladogramme verfälschen. Beispielsweise ähneln sich die “Prosauropoden” (die Anführungsstriche diskutieren wir im – ihr ahnt es schon – zweiten Teil) wie Plateosaurus und eine andere Gruppe von Dinos, die Therizinosaurier (oft auch Segnosaurier genannt):
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