Von Krugerr – Eigenes Werk, GFDL, Link
Lange nahm man deshalb an, dass die Therizinosaurier mit den Prosauropoden eng verwandt wären – tatsächlich zählen sie aber zu den Raubsauriern und haben ihre generelle Ähnlichkeit im Bauplan vermutlich einfach wegen einer ähnlichen Lebensweise als Pflanzenfresser. Solche Konvergenzen können zu sehr ähnlichen Strukturen führen, ohne dass die Lebewesen tatsächlich eng verwandt wäre – bekanntes Beispiel sind die Ähnlichkeiten zwischen Haien, Fischsauriern und Delfinen. Natürlich kann man im Vorfeld nicht wissen, ob ein Merkmal bei zwei Arten nun ähnlich ist, weil sie eng verwandt sind (es wäre also ein Synapomorphie) oder weil es konvergent ist. Es ist deswegen wichtig, dass man möglichst viele verschiedene Merkmale verwendet, nicht bloß solche, die alle auf derselben Konvergenz durch ähnliche Umweltanforderungen beruhen.
Nicht weniger knifflig wird es mit der Veränderung der Form von Knochen. Wie zieht man z.B. die Grenze, wenn ein Knochen besonders stark gebogen ist? Oder besonders dick (wie der Schädel beim Pachycephalosaurus)? Oder wenn ein Knochen im Vergleich zu einem anderen vergleichsweise klein ist?
Fragen über Fragen.
Letztlich wird die Variation von Merkmalen natürlich über die Gene bestimmt – aber niemand weiß, wie viele Mutationen nun nötig sind, um die Zahl der Schwanzwirbel von 12 auf 16 zu erhöhen oder einen Knochen anders zu krümmen. Solange man das nicht weiß, bleibt nichts übrig als zu versuchen, möglichst viele Merkmale anzuschauen (so dass Fehler bei einzelnen nicht so stark ins Gewicht fallen) und die Merkmale so zu wählen, dass einzelne Aspekte nicht zu stark berücksichtigt werden. Es ist also nicht verwunderlich, dass verschiedene Paläontologen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Trotzdem hat sich die Kladistik in der Paläontologie weitgehend durchgesetzt. Sie ist so ziemlich das einzige anerkannte Mittel zur Bestimmung von evolutionären Beziehungen (auch wenn es einige Wissenschaftler gibt, die die Kladistik wegen der erläuterten Probleme für ungeeignet halten) und ist soweit zum Standard geworden, dass Veröffentlichungen neuer Fossilfunde gelegentlich abgelehnt werden, wenn sie keine kladistische Analyse enthalten (was nicht unbedingt sinnvoll ist).
Man kann Kladistik auch anwenden, um Kladogramme auf der Basis von DNA-Sequenzen zu erstellen (dabei ist man natürlich im wesentlichen auf lebende Tiere beschränkt) – das wird insbesondere von Paläontologen, die sich mit Säugetieren beschäftigen, gemacht. Die Grundidee wird inzwischen auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen verwendet, in denen man Abstammungslinien rekonstruieren möchte – wichtigstes Beispiel ist meines Wissens die Linguistik.
Verwendet man Kladogramme, um die Abstammung von Tierarten darzustellen, dann sollte sich das eigentlich auch in der Benennung von Tiergruppen widerspiegeln. Hier allerdings haben die Biologinnen und Paläontologen noch keine Einigung erzielt – während eine entsprechende Nomenklatur bei Dinosauriern üblich ist (und man es dort cool findet zu sagen, Vögel seien Dinosaurier), verwendet man in der Säugetier-Paläontologie gern noch das gute alte Schema nach Carl von Linne. Was es mit dieser Kontroverse auf sich hat und warum es Leute gab (oder vielleicht noch gibt), die dem guten alten “Tyrannosaurus rex” stattdessen den Namen “rex Osborne 1905” verpassen wollten, das – wer hätte das gedacht – erkläre ich demnächst im zweiten Teil.
Disclaimer: Wie man dem Steckbrief oben links entnehmen kann, bin ich kein Biologe. Wie üblich gilt: Sollte ich hier irgendwelchen Blödsinn erzählt haben, dürft ihr gern in den Kommentaren meckern.
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