Außerdem bleibt das System willkürlich: Sollen nun die Prosauropoden eine Unterordnung sein, und die größere Gruppe der Sauropodomorphen eine Ordnung? Oder sind die Prosauropoden lieber eine Familie, damit zwischen der größeren Gruppe der Sauropoden und der Klasse der Reptilien noch Platz ist für die Gruppe der Dinosaurier, der Archosaurier, der Archosauromorpha und der Diapsida? (Alles Gruppen die die Prosauropoden quasi in immer größeren Kreisen einschließen.) Wie soll man das entscheiden? Warum sind beispielsweise die Primaten mit ihren etwa 200 Arten eine Ordnung, aber die Käfer mit ihren vermutlich mehr als 500000 Arten (das sind zehnmal mehr, als es Wirbeltiere gibt) ebenfalls? Gibt es ein wissenschaftliches Kriterium dafür, was eine Ordnung ist oder eine Familie?

Archaeopteryx 2.JPG
Von Ballista at the English language Wikipedia, CC BY-SA 3.0, Lien

Und noch etwas anderes kam hinzu, das noch schwerwiegender war als die Komplexität des Systems: Die Evolution verwischt die Grenzen zwischen den Gruppierungen. Vögel bilden beispielsweise eine eigene Klasse, Reptilien eine andere. Was tut man aber mit einer Zwischenform wie dem Archaeopteryx (Bild von Wikipedia)?
Gehört der schon zu den Vögeln? Wenn ja, was ist dann mit einem nahen Verwandten, der aber noch etwas dichter an den Dinosauriern dran ist, beispielsweise Troodon? Auch schon Vogel oder noch Reptil? Je lückenloser die Fossilienfunde wurden (und der Übergang von den Dinos zu den Vögeln ist ziemlich gut bekannt), um so schwieriger wurde die Abgrenzung.

Letztlich entstehen in der Evolution neue Klassen wie die Vögel aus einzelnen Arten oder Gattungen. Wie soll man so etwas in der Nomenklatur sinnvoll einbeziehen? Was ist überhaupt die Rechtfertigung für die Linnesche Einteilung?

Für von Linne, der nur einen Bruchteil der heute bekannten Tierarten kannte, war es relativ einfach zu sehen, dass es Tiergruppen gibt, deren Mitglieder einander morphologisch nahe sind – alle Vögel sind warmblütig und legen Eier und haben Federn und teilen sehr viele Skelettmerkmale miteinander. Aber wann genau verließ nun ein Reptil seine Klasse und wurde zum ersten Vogel? Man merkt schnell, dass es schwierig wird, hier eine Grenze zu ziehen.

Man sieht, das Schema nach von Linne ist zwar im Ansatz elegant, verliert seine Eleganz allerdings, je mehr man über die Biologie und die Evolution weiß. Letztlich ist es nicht geeignet, die Evolution widerzuspiegeln, in der es keine scharfen Grenzen gibt.

Die phylogenetische Nomenklatur
Beim letzten Mal hatte ich ja erklärt, dass man heutzutage Stammbäume von Tieren mit den Methoden der Kladistik erstellt. Dabei entstehen baumartige Diagramme, die die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Tierarten darstellen, aber nicht direkte Abstammungslinien (weil man die nie sicher sein kann). Hier mal ein sehr schönes Kladogramm der Dinosaurier (geklaut bei naturalsciences.org)

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Ganz rechts oben seht ihr die Vögel – und damit exemplarisch noch einmal den Grund des Ärgers. Wenn die Raubsaurier (Theropoden) nach der Linne-Klassifikation vielleicht eine Unterordnung, dann sind die Tetanurae eine Superfamilie, die Maniraptoren eine Familie, und in der drin stecken – die Vögel, also eine ganze Klasse. Evolutionär gesehen ergibt es wenig Sinn, die Vögel aus der Gruppe der Maniraptoren auszugliedern, denn sie haben mit diesen viele Merkmale gemeinsam. Und wie oben schon gesagt, ist es eigentlich unmöglich, eine klare Grenze zwischen den Raubsauriern und den Vögeln zu ziehen. Wo soll die Familie der Maniraptoren aufhören und die Klasse der Vögel anfangen?

Vom evolutionären Stammbaum aus betrachtet, ergibt eine Klassifikation nur Sinn, wenn sie evolutionäre Einheiten als Ganzes betrachtet. Da man den evolutionären Ablauf oft auch als Phylogenese bezeichnet, brauchen wir eine phylogenetische Nomenklatur, eine, die der Evolution Rechnung trägt.

Natürlich möchte man nicht gleich das Kind mit dem Bad ausschütten – weil es schwer ist, Grenzen zu ziehen, könnte man jetzt auf die Idee kommen, man sollte überhaupt keine Gruppierungen verwenden, aber es ist hoffentlich offensichtlich, dass es unpraktisch ist, wenn man über Gruppen wie “Vögel” gar nicht mehr reden kann.

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Kommentare (43)

  1. #1 miesepeter3
    21. Juni 2011

    Ich seh das schon, “ich Tarzan, Du Jane” ist wohl nicht mehr so richtig up to date.

  2. #2 jitpleecheep
    21. Juni 2011

    @MartinB: “”nicht-vogelige Dinosaurier”???”

    In etwas griffigerem Deutsch ‘Nichtvogeldinosaurier’, aber: ja, korrekt.

    Ansonsten wie üblich wieder ein sehr interessanter Artikel, danke.

    Und ich weiss, er hat langsam nen Bart, aber nochmal weil’s so schön ist: https://xkcd.com/867/

  3. #3 MartinB
    21. Juni 2011

    @jitpleecheep
    XKCD rocks!

  4. #4 Bjoern
    21. Juni 2011

    @MartinB: Schöner Artikel, danke! Ich hab’ mich schon länger gefragt, ob evolutionstheoretisch gesehen die Menschen eigentlich nicht auch zu den Reptilien gezählt werden müssten – jetzt weiss ich’s… 😉

    Wo du schon dabei bist, die ganzen Klassifikationsschemata zu erklären: machst du auch mal einen Ausflug zur Baraminologie der Kreationisten…? 😉

    @jitpleecheep: An den Comic musste ich auch sofort denken! Aber du warst schneller…

  5. #5 MartinB
    21. Juni 2011

    @Bjoern
    Bara- huh?
    Wikipedia sagt dazu
    “Die Inhalte der Baraminologie spielen in der wissenschaftlichen Forschung aus dem Bereich der Zoologie und Botanik keine Rolle.”
    Mehr habe ich dazu dann auch nicht zu sagen…

  6. #6 Bjoern
    21. Juni 2011

    @MartinB: Sarkasmus-Filter heute schlecht eingestellt…? War der Smiley nicht deutlich genug?

  7. #7 MartinB
    21. Juni 2011

    @Bjoern
    Nein, ich war nur etwas baff, was es alles gibt (und was du alles kennst…). Und fragte mich, ob du meintest, ich sollte hier mal ein bisschen mehr Kreationisten-bashing betreiben…

  8. #8 Thomas J
    21. Juni 2011

    @MartinB

    Woher kommt eigentlich deine Leidnschaft für Dinos?

    Meine Hochachtung für das breite Angebot auf deinem Blog.

  9. #9 Bjoern
    21. Juni 2011

    @MartinB:

    und was du alles kennst…

    So ziemlich meine ersten Internet-Erfahrungen habe ich in der Newsgroup talk.origins gesammelt – das erklärt wohl mein diesbezügliches Wissen, oder? 😉

    Und fragte mich, ob du meintest, ich sollte hier mal ein bisschen mehr Kreationisten-bashing betreiben…

    Nö, war sicher nicht als Aufforderung zum “bashing” gemeint – nur als kleiner Seitenhieb…

  10. #10 phaust
    21. Juni 2011

    toller Artikel.
    Aber er wirft eine große frage auf: Warum konnte mir ein Physiker das alles besser erklären alls mein Biolehrer in der schule?

  11. #11 Thomas J
    21. Juni 2011

    @phaust

    tja… wieviele von deinen Lehrern würdest du denn als gute Pädagogen qualifizieren? Liegt wohl daran…

  12. #12 MartinB
    22. Juni 2011

    @ThomasJ
    Zum Thema wie ich zu Dinos kam guckst du hier:
    https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/05/wie-ich-zum-dinoforscher-wurde-oder-wie-lauft-ein-t-rex-iii.php

    @phaust
    Vielleicht hat das was mit Enthusiasmus zu tun? Ich habe den Eindruck, ich erkläre um so besser, je mehr Spaß mir ein Thema macht. Außerdem habe ich keine gelangweilten Teenager vor mir sitzen… (Als Uni-Dozent kann man zumindest theoretisch annehmen, dass die Studis ein Mindestmaß an Motivation mitbringen – obwohl die besten Zuhörer, die ich je hatte, natürlich die bei der Kinder-Uni waren.)

    @Bjoern
    talk.origins? Grusel…

  13. #13 Geoman
    22. Juni 2011

    @ Martin Bäker

    Ich schätze Deine paläontologischen und (evolutions-)biologischen Ausflüge sehr, fachlich gehören sie zu den besten Beiträgen, die man hier auf Scienceblogs lesen kann. Nur wissenschaftshistorisch sind sie mir gelegentlich etwas zu einfach gestrickt, was darin zum Ausdruck kommt, dass Du wie viele Kladisten kladistische Gruppierungen für realer als systematische hälst:

    Der Grund dafür scheint mir nicht so sehr in der Methode zu liegen als in den Rahmenbedingungen der Entstehung der kladistischen Methode: Den frühen Kladisten standen die klassischen Systematiker nämlich als ausgesprochen feindlich gesinntes Establishment gegenüber. Der Paläontologe Richard Fortey (2002) beschreibt in seinem Buch »Leben – Eine Biographie« treffend die religiöse Dimension des damaligen Theorienstreits: »Der Gründervater der Kladistik, der deutsche Entomologe Willy Hennig, wurde zu einem weltlichen Heiligen erhoben. (…) Kollegen erkundigten sich mit gesenkter Stimme bei ihren Freunden ›Bist Du oder bist Du nicht?‹ Man wurde Kladist, wie man anderweitig Buddhist wurde.« Die Kladisten waren eine Art verschworene Bewegung, die sich den klassischen Systematikern weit überlegen fühlte. Ihre Methodik knüpfte schließlich an die Darwinsche Evolutionslehre an, während die klassische Systematik auf Linné zurückging und deshalb als vordarwinistisch betrachtet wurde. Von ambitionierten Kladisten wird daher immer wieder gefordert, die klassische Systematik weitgehend aufzugeben.

    Kurz: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Du auch so etwas Kladist geworden bist, wie andere Leute Buddhist geworden sind.

  14. #14 MartinB
    22. Juni 2011

    @Geoman
    Für deine Eindrücke kann ich nicht viel – habe ich im Artikel nicht genügend Probleme aufgelistet um klarzumachen, dass es sich um eine Methode handelt, nicht mehr?
    Für mich ist Kladistik wie Demokratie – schlecht, aber besser als die anderen Methoden.

  15. #15 nihil jie
    22. Juni 2011

    Naja.. wenn einem keine sinnvollen Namen einfallen kann man sie immer noch durchnummerieren 😉 z.B. A2501; B0945 oder P2386… für Primaten usw… *grins*

  16. #16 MartinB
    22. Juni 2011

    @geoman
    PS: Du verwechselst übrigens Kladistik und phylogenetische Nomenklatur, das sind zwei paar Stiefel (und deshalb auch zwei Artikel).

  17. #17 Rainer
    22. Juni 2011

    PS: Du verwechselst übrigens Kladistik und phylogenetische Nomenklatur, das sind zwei paar Stiefel (und deshalb auch zwei Artikel).

    Na ja, das erstaunt mich jetzt sehr. Ich hab mich nämlich mit diesem 2. Teil sehr viel schwerer getan als mit dem 1., und zwar gerade, weil ich den Eindruck hatte, dass dir selbst diese Unterscheidung nicht so recht gelungen ist. Ich hab mir jetzt nur mal ganz wenige Stellen rausgepickt. Hier wirds z.B. sehr deutlich:

    Vom evolutionären Stammbaum aus betrachtet, ergibt eine Klassifikation nur Sinn, wenn sie evolutionäre Einheiten als Ganzes betrachtet. Da man den evolutionären Ablauf oft auch als Phylogenese bezeichnet, brauchen wir eine phylogenetische Nomenklatur, eine, die der Evolution Rechnung trägt.

    Warum sollte man eine Klassifikation durch eine Nomenklatur ersetzen? Beides sind völlig verschiedene Dinge! Eine Klassifikation legt fest, was wir benennen wollen (alle Landwirbeltiere mit Schuppen?, alle mit Federn?, nur Monophyla?, oder auch Paraphyla?), eine Nomenklatur, wie wir es benennen.

    Also: In der phylogenetischen Nomenklatur verwendet man nur monophyletische Bezeichnungen.

    Du meinst vermutlich: In der phylogenetischen Nomenklatur vergibt man nur Namen an monophyletische Taxa. Es hat sich allerdings längst durchgesetzt, dies auch in der „klassischen“ Nomenklatur zu tun, zumal inzwischen geschätzte 90% aller Systematiker den Hennigschen Prinzipien folgen.
    Btw, für mich wird nicht deutlich, was genau du unter Linnescher oder klassischer Nomenklatur verstehst. Meinst du nur die Verwendung von Rängen wie Klasse, Ordnung, Familie? Nur die binominale Nomenklatur, die sich bekanntlich nur auf Arten erstreckt? Oder das verbindliche Regelwerk für die Benamsung von Tiertaxa von der Überfamilie bis hinunter zur Unterart, 1905 erstmals in Kraft getreten und aktuell als „International Code of Zoological Nomenclature“ in der 4. Auflage gültig? Letzteres lässt sich übrigens wunderbar mit der Kladistik vereinbaren, obwohl es die Verwendung von Rängen voraussetzt, die natürlich nicht objektivierbar sind. Diese dienen hier nur als Hilfsmittel, um die Namen einfacher zuzuordnen. Womit wir bei

    Eine eindeutige und allgemein akzeptierte Lösung gibt es – noch – nicht, obwohl man seit Jahren am so genannten “Phylocode” arbeitet, der die Benennung von Arten und Kladen neu und eindeutig regeln soll.

    sind. Wie gesagt, die derzeitigen Regeln für die Benennung von Taxa von der Überfamilie an abwärts gehen nicht auf Linné zurück sondern auf die Arbeit der „International Commission on Zoological Nomenclature“. Deren Regelwerk ist übrigens theoriefrei konzipiert und funktioniert daher unter dem kladistischen Paradigma genau so gut wie unter dem essentialistischen Linnés. Mit anderen Worten, eine eindeutige und allgemein akzeptierte Lösung gibt es schon lange, und der Phylocode ist ziemlich überflüssig, zumindest für die genannten unteren Ebenen.
    Für die oberen Ebenen könnte der Phylocode brauchbar sein, da es dort bisher keinerlei Regelwerk gibt. Andererseits könnte das gleiche Ziel erreicht werden, indem man den ICZN-Code auf die oberen Ränge ausdehnt.

    Während die meisten Dino-Forscher die phylogenetische Nomenklatur verwenden, benutzen viele Paläontologen, die sich mit Säugetieren beschäftigen, immer noch eine Klassifikation im Linneschen Schema.

    Zum Schluss auch hier noch mal die Verwechslung von Nomenklatur und Klassifikation. Daher weiss ich jetzt nicht, was die Säuger-Paläontologen wirklich machen. Verwenden sie Ränge? Verwenden sie Paraphyla? Oder verwenden sie einfach, wie es all diejenigen Zoologen, die sich mit den paar Millionen lebenden Arten befassen, in ihrer ganz überwältigenden Mehrheit „immer noch“ tun, die ICZN-Nomenklatur?

    Uups, das war deutlich länger als gedacht. Nix für ungut!

    Rainer

  18. #18 MartinB
    22. Juni 2011

    @Rainer
    Eigentlich sind es glaube ich drei Dinge, die man unterscheiden sollte
    – Kladistik als Methode zur Stammbaumrekonstruktion
    – Klassifikationsschema
    – Nomenklatur
    Vielleicht daher die verwirrung – ich habe Klassifikation und Nomenklatur sozusagen in eins verhackstückt, was vielleicht unklug war.

    Und dann hast du genau recht: Die phylogenetische Nomenklatur verwendet also rein monophyletisches Klassifizierungsschema; das habe ich hier synonym verwendet – tut mir Leid, wenn das Verwirrung gestiftet hat.

    Unter Linne verstehe ich sowohl das binominale Schema als auch die Einteilung nach Rängen.

    Die Säuger-Paläontologen verwenden – jedenfalls in den Büchern, die ich dieses Jahr gelesen habe und die ein paar Jahre alt waren (ich glaube 2004 und 2006) noch das alte Schema mit Rängen und allem, die dann auch paraphyletisch sind.

  19. #19 nihil jie
    22. Juni 2011

    Nachtrag 🙂

    Die sollten sich ein Beispiel an den Sci-Fi Machern nehmen 😉 in Star-Trek Voyager gibt es auch ein zarter versuch das mit den Nummern… z.B. die hier Spezies 8472

  20. #20 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    Zur Namensgebung, zur Bildung von Namenskonventionen an sich:
    Namen sollten in komplexeren Systemen, und dementsprechend zu beschreibende Objekte sind meist in diesen zu finden, “eigentlich eher nicht” eine Information tragen, die nähere Spezifika, bspw. zur Herkunft oder zum Verwendungszweck, benennen.

    Namen sind Schall und Rauch, man fährt oft recht gut damit, wenn man eines der o.g. Objekte benennt, wie es sich dem Erkenntnissubjekt (oberflächlich betrachtet) darstellt.

    Gießt man in die Namen zu viel Bedeutung, hat man irgendwann den Salat und es kommt zu Inkonsistenzen, die bei einer Bedeutungsänderung nun einmal eintreten.

    Man behilft sich hier meist mit der Mehrschichtigkeit, ein Name hier, ein Name da, aber hintergründlich setzt man Attribute, die bedeutungstragend sind.

    Inkonsistenzen bei der Namensvergabe, also wenn diese Namen Bedeutungen tragen, die nicht mehr gewünscht sind, lassen sich nämlich nur schwierig tilgen. – Anscheinend hat man hier solche Probleme.

    Namen sind keine Schlüssel!

    MFG
    Dr. Webbaer

  21. #21 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    Für mich ist Kladistik wie Demokratie – schlecht, aber besser als die anderen Methoden.

    Wobei die Demokratie nicht schlecht ist, sondern einigen nur so scheint, wenn sie im Dreieck Marktwirtschaft und persönliche Freiheiten steht.

    Die Kladistik fährt im Gegensatz zur Demokratie, wie oben beschrieben, eine Vereinfachungsstrategie.

    MFG
    Dr. Webbaer

  22. #22 Geoman
    22. Juni 2011

    So ins Blaue formuliert stört mich auch die Vereinfachung (es gibt nur Verzweigungen mit zudem nur zwei Ästen) an der Kladistik. Was macht die Kladistik, wenn sich zwei Arten aus unterschiedlichen kladistischen Gruppen erfolgreich kreuzen? Hat man dann eine polyphyletische Art?

  23. #23 MartinB
    22. Juni 2011

    @Geoman
    Wenn sich zwei Arten kreuzen, waren es keine Arten (nach dem einfachen biologischen Artbegriff).

    Arten dürfen aber natürlich paraphyletisch sein.

  24. #24 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    Wenn sich zwei Arten kreuzen, waren es keine Arten (nach dem einfachen biologischen Artbegriff).

    Und wenn’s Arten sind, die sich nicht in einem einfachen Baumgefüge einordnen lassen, sieht’s halt mau aus. – Also: Namen und Bedeutung bestmöglich trennen, Bedeutungen ändern sich, Webbären bleiben.

  25. #25 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    @MartinB
    Aus aktuellem Anlass, Sie hatten sich hier kontextfremd ein wenig unfroh verlautbart, Dr. W würde schon gerne mit Ihnen zusammen in die Schichten “Namen + Bedeutung” gehen wollen: Können die dbzgl. Konzepte vielleicht doch bei Ihnen zusammen angegangen und erörtert werden?

    Niemand hat etwas gegen die Kladistik oder andere namensbestimmende Systeme, wo genau ging hier Dr. W fehl I.E.?

    MFG
    Dr. Webbaer

  26. #26 roel
    22. Juni 2011

    @MartinB Super Beitrag!
    Für Dinos habe ich mich mal vor Urzeiten (passt ja) interessiert und habe in irgendeinem Keller noch ziemlich alte Bücher über Dinos. Vielleicht nehme ich mir mal Zeit und vergleiche die mit neueren Ausgaben, wird bestimmt spannend.

  27. #27 Geoman
    22. Juni 2011

    @ MartinB schrieb:

    “Wenn sich zwei Arten kreuzen, waren es keine Arten (nach dem einfachen biologischen Artbegriff).”

    Bei all Deinem erstaunlichen biologischen Wissen irritiert mich manchmal Deine Ahnungslosigkeit. Ca. 20% aller Pflanzenarten und 10% aller Tierarten bastardieren in der ‘freien Natur’. In Gefangenschaft sind es bei Tieren noch viel mehr. Nach Deinem ‘einfachen biologischen Artbegriff’ wären das dann alle keine Arten… Da kommt Freude auf, denn Dompfaff und Stieglitz wären dann z. B. keine Arten.

  28. #28 Theres
    23. Juni 2011

    @Geoman
    Auch hier hilft ein Blick in die Wikipedia schon weiter … und nein, ist kein Widerspruch, selbst wenn die Nachkommen nicht steril sind nicht. Auf diese Weise können neue Arten entstehen.
    “Hybridbildung ist auch bei natürlichen Evolutionsprozessen biologischer Arten von Bedeutung und damit für die Etablierung genetischer Vielfalt innerhalb der Arten. Während die Entstehung neuer Arten durch Art-Hybridisierung bei Höheren Pflanzen häufig und schon lange bekannt ist, war sie bei Tieren lange Zeit eher selten beobachtet worden. Natürliche Arthybridisierung tritt aber durchaus im gesamten Tierreich auf. ”

    Sorry, Theres, unser unerfindlich agierender Spamfilter hat zugeschlagen

  29. #29 MartinB
    23. Juni 2011

    @geoman
    Seufz – warum schrieb ich denn “einfacher” Artbegriff und habe irgendwo im Artikel auf die über 120 bekannten Definitionen verwiesen?
    Aber auf dem Genauigkeitslevel, auf dem man sich in der Paläontologie meist bewegt, sind das nutzlose Haarspaltereien. Bei den Paläoanthropologen sieht es vermutlich anders aus, denn da ist die “Auflösung” so groß, dass man vermutlich schon eher auf Populationsniveau gucken muss.

    @Wb
    Wie schon dort geschrieben – an Diskussionen mit Ihnen habe ich kein Interesse mehr.

  30. #30 Geoman
    23. Juni 2011

    @MartinB

    Wenn Sie wissen, dass der Artbegriff alles andere als “einfach” ist, ja dass es sogar fraglich ist, ob es überhaupt Arten gibt, dann schreiben Sie nicht solchen Unsinn. Der von mir favorisierte Artbegriff lautet übrigens, ganz schlicht, dass Arten keine biologischen oder biologisch definierbare Entitäten, sondern so etwas wie Tendenzen sind.

  31. #31 Dr. Webbaer
    23. Juni 2011

    Shakespeare hat zwar (sinngemäß) gesagt “A T. rex by any other name would be as cool”, aber so richtig überzeugend ist diese Lösung eher nicht.

    Hier besteht möglicherweise noch Erläuterungsbedarf.

    Ansonsten, klar, die Evolution funktioniert wie ein “Etwas ist, weil es ist und es ist so, wie es ist, weil es so ist, wie es ist.”, also umgangssprachlich chaotisch, was dann in die Namensgebung einfließen darf, aber nicht kann – und insofern sind andere beigegebene (und immer auch spekulative) Attributangaben (neben dem willkürlich gewählten Namen) erforderlich.

    HTH
    Dr. Webbaer

  32. #32 MartinB
    23. Juni 2011

    @geoman
    Genau. Bis sich die Biologen nicht über einen wasserdichten Artbegriff einigen, lassen wir es mit der Kladistik, auch wenn die davon – wie erläutert – wenig berührt wird…

    Arten sind so etwas wie “Tendenzen”? Na das ist mal ne wissenschaftliche präzise Definition, ich bin schwer beeindruckt.

  33. #33 Dr. Webbaer
    24. Juni 2011

    Arten sind so etwas wie “Tendenzen”? Na das ist mal ne wissenschaftliche präzise Definition, ich bin schwer beeindruckt.

    Das war keine “wissenschaftliche präzise Definition”, sondern die Kritik an einer dementsprechenden Definition. – Letztlich stellt Geoman die Unschärfe der nicht präzise bestimmbaren Artenbildung heraus.

    Ist eine Beobachtung, die für viele Bereiche gilt, man stochert halt herum und erkennt nach Gutdünken Entitäten. – Was nicht weiter schlimm ist, die Kladistik bspw. darf gerne weiterleben, aber man muss halt wissen, dass es Krücken sind, die mehr oder weniger erfolgreich genutzt werden.

  34. #34 Geoman
    24. Juni 2011

    Vielen Dank Dr. Webbaer besser hätte ich mich nicht verteidigen können!

    Die meisten Biologen haben in der Regel schon davon gehört, dass es unterschiedliche Artdefinitionen gibt, der oder andere weiß sogar dass sie sich widersprechen, trotzdem sind die meisten Biologen davon überzeugt, dass es Arten als reale Entitäten gibt. Deswegen habe ich provizierend geschrieben, dass Arten eher Tendenzen sind, oder als solche definiert werden sollten. In der Praxis kann es trotzdem in der Regel ganz nützlich sein, so zu tun als gäbe es Arten. Aber wenn es um die Reichweite von Modellen etc geht, sollte man sich immer bewusst sein, dass dies eine Verkürzung und Vereinfachung ist.

  35. #35 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    Ja, natürlich gibt es verschiedene Artdefinitionen, habe ich doch selbst geschrieben. Und ja, das ist eine Vereinfachung. Wie immer in der Wissenschaft muss man sich fragen, ob es eine zulässige Vereinfachung ist – und für die hier diskutierten Probleme ist es das, weil die nicht so fein aufgelöst werden können.
    Ein schwammiges “Arten sind Tendenzen” hilft wenig.

  36. #36 Dr. Webbaer
    24. Juni 2011

    Es wäre halt nicht schlecht gewesen utilitaristische Sichtweisen als solche klar zu kennzeichnen, eine kleine Randnotiz hier, eine Einschränkung dort, nichts weiter, dann wären denkbarerweise Geoman und womöglich auch Papa Webbaer glücklich mit dem Vortrag geworden …

    An Ihrem Lehrvorhaben, lieber Herr Bäker, sollten hier keine Zweifel kommentarisch entwickelt werden, aber Sätze wie “Die Revolution ist also noch nicht zu Ende, und noch ist offen, welches Schema sich am Ende durchsetzen wird.” sind unscharf, weil sich Nichts am Ende durchsetzen wird.

    HTH
    Dr. Webbaer (der zudem immer gerne zu einer rechtzeitigen Reflektion über Namen, Sachen und Verhalte rät – soz. unabhängig von Allem)

  37. #37 Geoman
    24. Juni 2011

    Ich kann Dr. Webbaer nur zustimmen, es sind Überschriften wie “die unbekannte oder die unvollendete Revolution” und weniger große Teile der beiden Beiträge, die sofort Widerspruch provozieren, weil sie auf Überschätzung und mangelnde Reflexion des vorgestellten Modells hindeuten.

  38. #38 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    Ich habe es ja oben schon gesagt: Für deine Interpretationen kann ich nix.
    Kladistik ist eine Revolution in der Biologie/Paläontologie, die phylogenetische Nomenklatur ist et

  39. #39 georg
    24. Juni 2011

    @Geoman

    Es gibt Kommentatoren, deren Widersprechen bei bestimmten Themen eher für die Qualität des betreffenden Textes spricht.

    Das nennt man dann einen dialektischen Widerspruch.

    mfg georg

  40. #40 Geoman
    24. Juni 2011

    @ MartinB

    Die Bestimmungsbuchliteratur im Felde wird diese Revolution unbeschadet überstehen.

  41. #41 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    Mein Kommentar wurde irgendwie zerstückelt, macht aber anscheinend nichts.

    Ach so, die Bestimmungsbücher überstehen das unverändert. Na dann. Die Ingenieurwissenschaft hat die Allg. RT auch relativ kaltgelassen, trotzdem war die ART eine Revolution.

    Ansonsten wäre es hilfreich, sich mal zu einigen, was denn nun die Kritik sein soll:
    Dass ich “Kladist” geworden bin wie andere Buddhist,
    dass die Kladistik mit der Kreuzung von Arten Probleme haben könnte,
    dass ich einen naiven Artbegriff habe,
    dass ich Unsinn schreibe,
    dass es Arten nicht wirklich gibt,
    dass die Überschrift falsch gewählt ist,
    dass die Kladistik keine Revolution ist, weil die Bestimmungsbücher von ihr nicht berührt werden.
    Jeder Kommentar ein neuer Kritikpunkt – da drängt sich ein bisschen der Verdacht des Nörgelns um des Nörgelns willen auf.

  42. #42 Geoman
    24. Juni 2011

    @ MartinB

    Aus den ‘Nörgeleien’ hätten Sie eine schöne Einleitung machen können, die zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass Linnesche Taxa genauso real oder natürlich sind wie Hennigsche Kladen, beide aber für bestimmte Zwecke nützlich sind. Was dann auch zwanglos erklärt hätte, weshalb die revolutionäre Kladistik die bis traditionelle Systematik auch 50 Jahre nach ihrer Erfindung nicht verdrängt hat.

  43. #43 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    “weshalb die revolutionäre Kladistik die bis traditionelle Systematik auch 50 Jahre nach ihrer Erfindung nicht verdrängt hat.”
    So schwer ist es eigentlich gar nicht, den Unterschied zwischen Kladistik und phylogenetischer Nomenklatur/Systematik zu verstehen.
    Die Kladistik als Methode der Rekonstruktion von Phylogenien hat sich bereits durchgesetzt.