Keplergesetz, von Harp CC BY-SA 3.0, Länk
Er zeigt, wie man dieses Gesetz aus dem Newtonschen Gravitationsgesetz bekommen kann. Ohne mathematische Argumentation wäre das schwierig, denn bei der Herleitung müssen Flächen verglichen werden, wozu man wiederum die Gesetze der Geometrie braucht.
Es folgt eine Passage, an die ich mich immer besonders lebhaft erinnern werde. Feynman diskutiert die Frage, ob die Vorgehensweise in der Physik, wie die der Mathematik, axiomatisch ist, ob man also von einem bestimmten Satz von Aussagen anfängt und dann von dort aus immer weitere Sätze ableitet.
Er beginnt mit einem Vergleich der babylonischen und der griechischen Mathematik (wobei er sich darüber im klaren ist, dass das der komplexen historischen Wahrheit nicht unbedingt entspricht). Die Griechen waren Axiomatiker, sie versuchten (wie in Euklids “Elementen”), alle mathematischen Aussagen aus einem möglichst einfachen Satz von Anfangsannahmen (den Axiomen) abzuleiten. Die Baylonier dagegen hatten eine große Menge bekannter Aussagen, von denen sie ausgehen konnten. Wenn sie etwas herleiten oder berechnen wollten, dann nahmen sie sich diejenigen Sätze, die sie gerade brauchten, ohne sich besonders um die Rückführung auf Axiome zu kümmern.
Ich erinnere mich deshalb so gut an diesen Abschnitt, weil ich beim Lesen dachte “Ja, und jetzt wird Feynman erklären, dass die Physik axiomatisch ist wie die Mathematik der Griechen und dass wir immer versuchen sollten, alles auf grundlegende Anfangsannahmen zurückzuführen” (und kam mir dabei ziemlich schlau vor, vermute ich). Und dann las ich:
In physics, we need the Babylonian method.
[In der Physik brauchen wir die babylonische Methode.]
Das war durchaus ein kleiner Schock – dank vieler Physikvorlesungen und -bücher, die häufig die Axiome der jeweiligen Theorien hinschrieben und diskutierten, hatte ich diese Vorgehensweise für die einzig wahre gehalten.
Aber warum soll das so sein? Warum sind Physikerinnen besser babylonisch als griechisch?
Wenn man über das zweite Keplergesetz nachdenkt, dann stellt man schließlich fest, dass dieses Gesetz impliziert, dass der Drehimpuls des Systems erhalten bleibt. Die Drehimpulserhaltung findet man aber nicht nur in Systemen mit Gravitation, sondern auch anderswo (auch wenn sie bei elektromagnetischen Feldern dann etwas komplizierter wird, weil die Felder selbst auch einen Drehimpuls haben). Dieses Prinzip der Drehimpulserhaltung ist also umfassender als das Gravitationsgesetz, steckt aber in ihm drin. Es ist deshalb schwierig, das Gravitationsgesetz als Axiom zu nehmen und die Drehimpulserhaltung – das ist redundant. Und das Gravitationsgesetz wiederum war eine große Hilfe bei der Entwicklung der Idee, dass es eine Drehimpulserhaltung geben könnte, die Idee der Drehimpulserhaltung kann aus dem Gravitationsgesetz gewonnen werden – obwohl sie umfassender ist als das Gravitationsgesetz selbst. Physikalische Gesetze gelten oft auch für Fälle, für die wir sie zunächst nicht hergeleitet haben – ein Aspekt, auf den Feynman immer wieder zurückkommt.
Ein anderer Aspekt ist, dass es sehr verschiedene Darstellungen desselben Gesetzes geben kann. Das Gravitationsgesetz kann man beispielsweise auch mit Hilfe von Potentialen (also der Energie) oder über das Prinzip der kleinsten Wirkung darstellen. Alle drei Darstellungen sind mathematisch äquivalent, das kann man zeigen. Aber sie sind nicht physikalisch äquivalent – jede Formulierung betont eine bestimmte Größe, die das System beschreibt. Wenn wir mit Hilfe des Gravitationsgesetzes andere Gesetze suchen oder wenn wir das Gravitationsgesetz mit anderen Theorien in Einklang bringen wollen, dann sind die unterschiedlichen Formulierungen unterschiedlich hilfreich.
Auch wenn es vielleicht eines Tages (wenn wir eine “Weltformel” haben) möglich ist, die physikalischen Gesetze axiomatisch hinzuschreiben – bis dahin ist es besser, möglichst viele verschiedene Wege zu kennen, um die Gesetze aufzuschreiben und dann je nach Problemstellung den besten davon zu nehmen.
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