Diese Verwirrung war in den 1920er Jahren auch bei den Physikern vorhanden – man versuchte zunächst, einfach eine Gleichung nach Art der Schrödingergleichung zu finden, die nur eben mit der Relativitätstheorie zusammenpasste. Die Klein-Gordon-Gleichung würde man dann entsprechend interpretieren, mit φ als einer Wellenfunktion, die also die Wahrscheinlichkeitsamplitude angibt. Dirac stellte eine ähnliche Gleichung (die Dirac-Gleichung) für das Elektron auf – diese Gleichung enthält eine Funktion ψ, die ganz ähnlich zur Wellenfunktion in der “normalen” Quantenmechanik ist. (Zur Dirac-Gleichung sage ich später noch etwas.)
Es zeigte sich aber bald, dass diese Vorgehensweise mit Schwierigkeiten verbunden ist. Heute können wir diese Schwierigkeiten leicht verstehen: Wenn die kinetische (also die Bewegungs-) Energie eines Teilchens groß genug ist, dann können Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugt werden. Beispielsweise können zwei Pionen – eine spezielle Sorte von Elementarteilchen, die man mit der Klein-Gordon-Gleichung beschreiben kann – zusammenprallen, wobei am Ende vier Pionen herauskommen. (Das geht, weil – neutrale – Pionen ihre eigenen Antiteilchen sind.1) Deshalb ist es nicht möglich, eine relativistische Gleichung aufzustellen, die nur ein einziges Teilchen beschreibt.
1Und das wiederum ist leicht einzusehen, weil sie aus einem Quark und einem Antiquark bestehen, aber das führt jetzt wirklich zu weit vom Thema ab. Vielleicht schreibe ich ja irgendwann nochmal was zum Teilchenzoo.
Stattdessen machte man den Übergang zu einer Feldtheorie, bei der die Zahl der Teilchen in der Lösung nicht konstant sein muss (wie das passiert, sehen wir noch). Diese Feldtheorie in ihrer einfachsten Form verwendet jetzt wieder die Klein-Gordon-Gleichung, diesmal aber als klassische Feldgleichung, die dann erst “quantisiert” werden muss. Das Feld φ beschreibt jetzt also keine Wellenfunktion mehr, sondern ein “klassisches” Elementarteilchenfeld. (Man kann sich vorstellen, dass φ – genauer gesagt φ2 – klassisch gesehen die Intensität (oder die Energie, das kommt aufs selbe raus) im Feld darstellt.) Den Übergang zur Quantenmechanik machen wir dann mit dem – geeignet angepassten – Pfadintegral. (Alternativ kann man auch die sogenannte “kanonische” Quantisierung verwenden – die ist aber nicht so anschaulich.)
Leider wird diese “Uminterpretation” von Wellenfunktion zu echtem Feld in vielen Büchern nicht sauber erklärt, was zumindest bei mir auch immer zu endloser Verwirrung geführt hat – deswegen habe ich das hier ja auch die “erste Verwirrung der QFT genannt”. Wenn Feldgleichungen (insbesondere die für das elektromagnetische Feld) quantenmechanisch behandelt werden, spricht man manchmal auch von “zweiter Quantisierung” – eine Bezeichnung, die ich auch immer extrem verwirrend fand, denn es klingt eben so, als würde man erst die klassische Physik quantisieren und eine Quantenmechanik mit einer Wellenfunktion haben, und die dann nochmal quantisieren, um zur Quantenfeldtheorie zu kommen. So ist es aber nicht, quantisiert wird nur einmal, aber eben ein Feld und nicht ein Teilchen. (Ja, ich weiß, ich habe noch nicht genau erklärt, wie man denn nun die Feldtheorie quantisiert und Pfadintegrale berechnet – aber die Serie ist ja auch noch nicht zu Ende.)
Wie tief ist die Dirac-See?
Diese Verwirrung ist auch verantwortlich für die Erfindung der berühmten Dirac-See, die ein Beispiel dafür ist, dass man mit fehlerhaften Konzepten trotzdem richtige Vorhersagen machen kann. (Was uns allen zur Warnung dienen soll – nur weil eine Vorhersage eintrifft, heißt das nicht, dass unsere Theorie vollkommen stimmt, selbst wenn es eine spektakuläre Vorhersage ist.)
In den Zwanziger Jahren versuchte man wie gesagt, das ψ in der Diracgleichung so zu behandeln wie die Wellenfunktion in der Quantenmechanik.
Als Dirac seine Gleichung für das Elektron aufstellte, stellte er fest, dass diese Gleichung mathematisch nur funktioniert, wenn die “Wellenfunktion” an jedem Ort nicht bloß eine Zahl ist, sondern gleich durch vier Zahlen gekennzeichnet wird. Er konnte zeigen, dass sich das letztlich mit dem “Spin” (dem Eigendrehimpuls – eine Größe, zu der ich irgendwann sicher auch mal was schreiben muss) des Elektrons in Verbindung bringen lässt. Das sprach natürlich sehr für seine Gleichung: Der Spin purzelte quasi “von selbst” aus der Gleichung heraus, ohne dass Dirac zusätzliche Annahmen machen musste. Damit konnte er gleich noch ein paar experimentelle Ergebnisse erklären, die man bisher nicht verstanden hatte. Das überzeugte Dirac davon, dass seine Gleichung nicht so ganz falsch sein könnte.
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