Nach einer halben Sekunde schlagen dann die Fotozellen am Ende des Spiegels an – euer Lichtpunkt ist angekommen. Eine weitere Fotozelle, die den umgelenkten Lichtstrahl misst, reagiert dagegen erst eine halbe Sekunde später. Da ihr wisst, dass dieser Lichtstrahl von eurem Laserpointer stammt, habt ihr damit die Überlichtgeschwindigkeit klar gezeigt. (Und wer sich jetzt Sorgen macht, ob vielleicht die Raumkrümmung oder eine Verformung des Spiegels oder sonst irgendwas Ärger macht, der kann zum Beispiel weitere Lichtstrahlen nehmen um sicherzustellen, dass der Spiegel die ganze Zeit gerade bleibt usw.)
Fazit: Überlichtgeschwindigkeit kann man tatsächlich messen, und das alles im Einklang mit der SRT.
Die überlichtschnelle Schere
O.k., aber so ein Lichtpunkt ist ja nichts “echtes”. Können wir einen echten Effekt mit Überlichtgeschwindigkeit bekommen? Ja, wir können zum Beispiel unser Riesensegel in einer halben Sekunde von einem Ende zum anderen durchschneiden.
Die einfachste Möglichkeit hierfür ist es natürlich, einfach den Laser stark genug zu machen, aber wir benutzen lieber eine Schere – in diesem Fall eine Riesenschere.
Die besteht aus zwei Klingen, die in einem spitzen Winkel angeordnet sind. Eine Klinge lassen wir ortsfest (relativ zu dem, was wir zerschneiden wollen), die andere bewegen wir, beispielsweise mit halber Lichtgeschwindigkeit. Wenn wir das tun, bewegt sich der Schnittpunkt der beiden mit Überlichtgeschwindigkeit, wenn der Scherenwinkel nur klein genug ist. Diese kleine Animation veranschaulicht das:
Der Schnittpunkt legt eine wesentlich größere Strecke zurück als die Klinge. Damit können wir also zum Beispiel unseren Riesenspiegel zerschneiden, und zwar “überlichtschnell”.
Aber Moment mal – haben wir da nicht ein Problem? Nehmen wir an, ich sitze an einem Ende des zu zerschneidenden Spiegels und will euch am anderen Ende ein überlichtschnelles Signal schicken. Muss ich nicht einfach nur einen hinreichend stabilen Stift zwischen die Scherenblätter halten, den die nicht zertrennen können? Dann würde sich die Schere ja nicht schließen, das würdet ihr schon nach einer halben Sekunde merken, und wir haben die SRT verletzt.
Das wäre natürlich ziemlich ärgerlich für uns Physiker – da haben wir über Hundert Jahre mit der SRT gearbeitet, und jetzt blockiert einer ne Schere und unsere Theorie ist im Eimer?
Nein, ist sie nicht. Warum nicht?
Prüfen wir noch einmal die Annahmen, die in dem Scheren-Blockier-Experiment stecken: Wenn der Schnittpunkt nach oben wandert, dann sind ja unterschiedliche Stellen auf der Klinge gerade am Schneiden. Die Klingen schneiden deshalb, weil sich die eine im Bild von links nach rechts bewegt.
Wenn wir die Schere mit dem Stift blockieren, dann kann der Schnittpunkt der beiden Klingen nicht mehr weiter nach oben wandern, weil die Klingen ja blockiert sind, so das Argument. Aber es sind ja unterschiedliche Stellen der Klinge, die jeweils gerade schneiden. Damit eine Stelle oberhalb des blockierten Stifts “merkt”, dass die Klinge weiter unten blockiert wurde, muss eine Kraft durch das Material übertragen werden. Klarer wird das vielleicht, wenn man sich die Atome1 vorstellt, aus denen die Klinge besteht: Die fliegen am Anfang alle nach rechts. Ein Atom wird jetzt blockiert.
1Man muss nicht mit Atomen argumentieren – das Argument funktioniert auch mit den Mitteln der Kontinuumsmechanik, wo man annimmt, dass Materie kontinuierlich ist. Mit Atomen ist es aber meiner Ansicht nach etwas leichter einzusehen.
Damit das Atom oberhalb des Blockierten etwas von der Blockade “merkt”, muss vom unteren blockierten Atom eine Kraft übertragen werden. Und das wiederum geht nicht beliebig schnell, sondern nur mit Lichtgeschwindigkeit.
Die Atome oberhalb des Schnittpunktes werden sich also weiter bewegen. Dabei verbiegt sich dann die Klinge, aber um das Verbiegen zu bemerken, braucht ihr wieder ein Signal, und das geht wieder nur mit Lichtgeschwindigkeit.
Unsere überlichtschnelle Signalübertragung mit der blockierten Schere klappt also nicht – aber wir können eine interessante Folgerung daraus ableiten: Die SRT verbietet die Existenz von unendlich starren Materialien, die durch keine Kraft der Welt verformbar sind. (Das kann man natürlich auch einfacher sehen: Stellt euch eine Stange aus einem perfekt starren Material vor und haut mit dem Hammer auf ein Ende. Wenn das Material perfekt starr wäre, dann würde sich das andere Ende der Stange sofort verschieben – das passiert aber nicht, weil sich die Störung in der Stange nur mit Schallgeschwindigkeit ausbreitet.)
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