Der Spin eines Photons hängt mit einer Größe zusammen, die ihr vielleicht aus dem Alltag kennt, nämlich mit der Polarisation von elektromagnetischen Wellen. In einer elektromagnetischen Welle zeigen das elektrische und das magnetische Feld ja immer senkrecht zur Ausbreitungsrichtung – es gibt zwei unabhängige Polarisationsrichtungen, beispielsweise E-Feld nach oben/unten oder E-Feld nach vorn/hinten. (Und das kann man zum Beispiel ausnutzen, um 3D-Filme ins Kino zu bringen.)
Man kann sagen, dass Photonen des einen Polarisationstyps linkshändig sind, die des anderen rechtshändig.1 Photonen haben also – wie unsere Materieteilchen – zwei mögliche Helizitäten.
1Damit das sauber passt, braucht man zirkular polarisiertes Licht, aber das ist jetzt nur eine technische Feinheit, die ihr ignorieren dürft, ich schreibe das hier nur hin, damit die Experten nicht nörgeln.
Massive Teilchen mit Spin 1 wie das W und das Z haben aber drei mögliche Werte für die Helizität – man kann sie vereinfacht als rechtshändig, linkshändig und Null bezeichnen.
Und das bringt jetzt ein Problem mit sich: Wenn wir nämlich den Higgs-Mechanismus aus dem ersten Teil verwenden wollten, um ursprünglich masselose Eichbosonen mit einer Masse zu versehen, dann fehlt denen eine Möglichkeit für die Helizität – nur durch den Higgsmechanismus könnten sie zwar eine Masse bekommen, aber keinen zusätzlichen Helizitätswert (man spricht auch vom “Freiheitsgrad” – das häufig verwendete Physikerwort für Zahl von Möglichkeiten). Mit dem einfachen Higgsmechanismus können wir keine massiven Teilchen mit Spin 1 aus masselosen Teilchen mit Spin 1 bekommen, denn die könnten nie eine Helizität von Null haben.
Reale W’s und Z’s können das aber – das weiß man aus der alten Theorie der V-A-Kopplung, die ich letztes Mal kurz erwähnt habe. Mit nur zwei Werten der Helizität würden die Vorhersagen der Theorie nie mit dem Experiment übereinstimmen.
Da wir zwei W-Bosonen (mit + und -) und ein Z-Boson haben, fehlen uns also drei Freiheitsgrade, um aus masselosen Ausgangs-Teilchen “unsere” W’s und Z’s zu machen. Wo sollen wir die nun wieder hernehmen?
Die aufopferungsvollen Higgsteilchen
Na klar, das Higgs bringt die Rettung. Denkt noch mal an den Sombrero von eben. Wir hatten uns gefragt, was mit dem Rollen entlang der Krempe ist. Das kostet keine Energie und entspricht deshalb einem masselosen Teilchen. Dieses Teilchen ist eigentlich überflüssig, denn es gibt in unserer Welt kein Teilchen, dass einer solchen Anregung des Higgsfeldes entspricht. Wir haben also hier ein Teilchen zu viel. Dieses Teilchen hat keinen Spin und damit nur einen Freiheitsgrad.
Hmm – erst hatten wir drei Freiheitsgrade zu wenig bei den W’s und Z’s, hier haben wir einen Freiheitsgrad zu viel. Und jetzt beginnt die große Trickserei, die mathematisch deutlich weniger weit hergeholt aussieht, als sie jetzt in der Erklärung klingen wird.
Aus einem masselosen Boson (mit zwei Freiheitsgraden) und einem ebenfalls masselosen Sombrero-Hutkrempen-Entlangroll-Teilchen mit einem Freiheitsgrad können wir ein massives Vektorboson mit 3 Freiheitsgraden zusammenbauen (2+1=3). Dass das tatsächlich funktioniert, klingt erstmal ziemlich weit hergeholt, aber es ist so. Man sagt auch, dass das Boson ein masseloses Higgsteilchen “frisst” und so eine Masse bekommt. (Sehr schöne Bilder und eine ähnliche Erklärung wie hier findet ihr bei Quantumdiaries.)
Was bei diesem “Fressen” passiert, kann man grob so umschreiben: Das Higgsfeld wechselwirkt mit den Bosonen. Wenn es einen von Null verschiedenen Wert bekommt, dann lassen sich die Formeln, die das Verhalten des masselosen Higgsfeldes und des bis jetzt noch masselosen Bosons so umschreiben, dass sie aussehen wie die Formel für ein Boson mit Masse, wobei der Higgsterm wegfällt. Beide Beschreibungen sind also gleich gut. (Genauso wie wir im ersten Teil zwei Möglichkeiten hatten, die Masse der Materieteilchen zu beschreiben: Mit einem Propagator mit Masse oder mit einem Propagator ohne Masse und den vielen Kringeln.)
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