Weil wir aber drei Bosonen haben, die eine Masse bekommen sollen, müssen wir drei masselose Higgsteilchen haben, die sich fressen lassen, eins für das Z und je eins für das W+ und das W–. Dazu müssen wir unseren Sombrero um zwei Dimensionen erweitern, was dann etwas schwer zu zeichnen ist. Ihr müsst euch vorstellen, dass ihr entlang der Hutkrempe in drei senkrechte Richtungen rollen könnt.
Wir fangen an mit einem Higgsfeld mit vier Komponenten (die nenne ich jetzt nicht Higgs-Teilchen, weil der Name ja schon belegt ist), die alle gleich Null sind. Zwei der Higgsfeld-Komponenten sind elektrisch geladen (eine positiv, eine negativ, die werden nachher von den beiden W’s gefressen), zwei sind elektrisch neutral (eine verfuttert das Z, aus der anderen wird unser gutes altes Higgs-Teilchen).
Und wir fangen an mit vier masselosen Bosonen. Vier? Wieso vier und nicht drei? Das vierte Boson wird unser Photon werden, das bekommt aber keine Masse weil es kein Higgs zum Fressen abbekommt. Zwei der Bosonen sind neutral (die werden Photon und Z), zwei sind geladen, das werden die W’s.
Unser Higgsfeld mit seinen vier Komponenten kann mit diesen vier Bosonen wechselwirken (und tut das in Form einer Eichtheorie). Aber das Higgsfeld mit seinem Wert von Null ist instabil, weil es ja ein Tachyonfeld ist.
Das ursprüngliche Vakuum mit Higgsfeld Null geht deshalb in ein Vakuum über, in dem der Higgsfeld-Wert ungleich Null ist, so wie die Kugel in die Krempe rollt. Das Vakuum verändert sich also (deshalb auch der Titel dieses Textes.) In unserem vierdimensionalen Sombrero gibt es jetzt nicht eine, sondern drei Richtungen entlang der Hutkrempe, also drei masselose Teilchen. Zwei davon sind geladen und werden von den beiden W’s gefressen.
Eine der beiden anderen neutralen Higgs-Komponenten verbindet sich mit einem der beiden neutralen Bosonen und bildet das Z-Boson. (Das ist etwas vereinfacht, in Wahrheit ist das Z-Boson eine Mischung aus den beiden ursprünglichen neutralen, und das Photon ebenfalls – deswegen nennt man das ganze auch “elektroschwache Theorie”, weil Elektromagnetismus – das Photon – und schwache Kernkraft – die Bosonen – gemeinsam auftreten.) Die andere Higgs-Komponente ist die in radialer Richtung, bei der sich die Energie ändert (also die, die nicht in der Krempe läuft, sondern senkrecht dazu). Die ist jetzt das Higgs-Teilchen, das man am CERN gern finden möchte.
In Summe haben wir also angefangen mit 4 masselosen Bosonen (8 Freiheitsgrade) und 4 Komponenten des Higgsfeldes (macht zusammen 12 Freiheitsgrade). Am Ende, nachdem die Bosonen ihre Higgse gefressen haben, haben wir drei massive Bosonen (9 Freiheitsgrade), ein Photon (2 Freiheitsgrade) und ein massives Higgs-Teilchen (kein Spin, also 1 Freiheitsgrad). Macht wieder 12, die Summe stimmt also.
Ist das nicht ziemlich weit hergeholt?
Das klingt nun wirklich alles ziemlich konstruiert, oder? Das Vakuum ist voll von Higgs, Bosonen fressen andere Higgsfelder, Materieteilchen bekommen ihre Masse durch Wechselwirkung mit dem Higgs-Vakuum – sieht schon arg an den Higgsen herbeigezogen aus, oder?
Ist es auch. Und ich stimme mit jedem überein, der sagt, dass schöne physikalische Theorien anders aussehen. Deswegen hat es wohl auch so lange gedauert, bis das Standardmodell in dieser Form fertig war – diese ganzen Mechanismen, die ich hier so nett beschreibe, müssen ja alle sauber mathematisch hergeleitet und in ihren Konsequenzen überprüft werden. (Das nur als kleiner Hinweis für die, die mir jetzt mails schicken wollen, in denen sie ihre persönlichen Raumzeit-Oszillations-Vakuolen-Theorien oder was auch immer anpreisen wollen – rechnet’s durch, sonst taugt es nichts – und nein, ich habe keine Lust, für euch eure tolle Idee mathematisch zu berechnen. (Ja, solche mails bekommt man als Blogger…))
Gibt es denn irgendwelche Hinweise darauf, dass das alles so stimmt?
Zunächst mal gibt es ein paar indirekte Hinweise: Die so aufgestellte Theorie stimmt extrem gut mit den Beobachtungen überein. Man hat auf der Basis dieser Theorie die Existenz der Z-Teilchen vorhergesagt und z.B. – wie von der Theorie gefordert – festgestellt, dass das Z schwerer ist als die W’s. Auch einige Eigenschaften des Zs wurden richtig vorhergesagt. Außerdem löst das Higgsteilchen noch ein anderes kleines Problem: Berechnet man die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Teilchenreaktionen, bei denen W-Teilchen entstehen (nämlich die Erzeugung eines W+-W–-Paares aus einem Elektron und einem Positron) dann ergibt sich rechnerisch bei hohen Energien Unsinn – gibt es dagegen das Higgs-Teilchen, so kommt ein vernünftiger Wert heraus.
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