Trotzdem sind das alles nur indirekte Hinweise auf das Higgsteilchen. Und weil es einerseits ein zentraler Bestandteil der Theorie ist, aber andererseits auch konzeptionell schon ziemlich kompliziert, sind solche indirekten Hinweise natürlich zu schwach. Deswegen sucht man ja am LHC auch nach dem Higgsteilchen. Wenn derartig involvierte und raffinierte Konzepte (spontane Symmetriebrechung, nicht-verschwindender Feldwert eines tachyonischen Feldes im Vakuum, Massen durch Feldkopplung) rein theoretisch abgeleitet und dann experimentell bestätigt werden können, wäre das sicherlich ein Triumph der theoretischen Physik.
Wenn es dagegen nicht gefunden wird, dann wird man ins mächtig Grübeln kommen. Wahrscheinlich wird man nach Variationen des Standardmodells suchen (vielleicht solchen, in denen das Higgsfeld etwas anders funktioniert), aber vielleicht muss man auch deutlich mehr an theoretischer Physik über Bord schmeißen – am Ende könnte das Standardmodell oder das ganze Konzept der Eichtheorie sich als zwar brauchbare Näherung, aber konzeptionell als fehlerhaft erweisen.
Das Higgs-Teilchen zu finden ist also durchaus einige Anstrengungen wert. Wenn es gelingt, belegt das das Konzept der Eichtheorien, gibt uns eine Antwort auf die Frage, wie die Materie einen Teil ihrer Masse bekommt (die Masse von Protonen und Neutronen ist zu einem guten Teil auch durch die Bindungsenergie festgelegt), und wir verstehen die Natur des Vakuums besser. Die Suche nach dem Higgs lohnt sich also auf jeden Fall.
Das Higgs und die Strings
Aus aktuellem Anlass hier noch eine kleine Nachbemerkung: In der aktuellen Ausgabe von “Nature” kann man (neben einem leicht fragwürdigen Ausflug in die Traditionelle Chinesische Medizin) einen Artikel lesen, nach dem das Higgs-Teilchen aus der Stringtheorie vorhergesagt werden kann, und zwar in genau dem Massenintervall, in dem auch die Werte vom CERN liegen. Nun ja – ich bin sehr skeptisch. Es ist ja schon erstaunlich, dass die Stringtheoretiker seit Jahrzehnten versuchen, Teilcheneigenschaften vorherzusagen und dass es ihnen genau in dem Moment gelingt, wo tatsächlich ein neues Teilchen (möglicherweise) gefunden wurde. Einen ziemlich bösartigen Text zum Thema könnt ihr bei Peter Woit (einem der schärfsten Gegner der Stringtheorie) lesen.
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