Und wie war das nun mit dem Tenontosaurus? Falls es sich hier tatsächlich um eine echte Räuber-Beute-Beziehung gehandelt hat (und der Deinonychus sich nicht z.B. als Aasfresser betätigte), dann würde dies auch in das vorgestellte Modell passen: Bei heutigen Raubvögeln kommt es – allerdings sehr selten – vor, dass sie sich auf den Rücken von großen Beutetieren setzen (Adler können auf diese Weise Rentier-Kälber erbeuten), sich dort festkrallen und diese dann zu überwältigen versuchen. Mechanisch sind die Anforderungen ähnlich wie beim Ripper-Modell, nur dass das Körpergewicht des Raubvogels nicht ausreicht, um die Beute niederzudrücken. Es ist aber, wie oben erklärt, unwahrscheinlich, dass das die typische Art des Deinonychus war, Beute zu machen.

Habt ihr beim Lesen gut aufgepasst? Dann habt ihr gemerkt, dass ich euch bei der Erklärung der Buchstaben im RPR-Bild einen (F) unterschlagen habe.

Vom Ripper zum Flieger

Beobachtet man Habichtartige beim Festhalten der Beute, dann sieht man, dass sie ihre Flügel nicht nur zum “Manteln” benutzen, sondern auch heftig damit auf- und abschlagen, um besser das Gleichgewicht halten zu können. Zur Veröffentlichung gehören auch zwei Videos (hier und hier), die das zeigen.

Und das brachte die Autoren auf eine ganz fantastische Idee. Es ist ja seit langem ein Rätsel, wie genau sich der Flügelschlag der Vögel entwickelt hat. Ein Modell hierzu (Flügelschlagen zur Unterstützung des Laufens) habe ich ja neulich vorgestellt, aber hier zeigt sich eine andere Möglichkeit: Vielleicht waren Federn an den Vorderbeinen nützlich, um das Gleichgewicht besser halten zu können, wenn Deinonychus oder eher seine Vorfahren (die ja auch Vogelvorfahren waren) ihre Beute festzuhalten versuchten. Da eine Ausgleichsbewegung mit den Armen auch ganz ohne Flügel hilfreich ist, um das Gleichgewicht zu halten, gäbe es hier also tatsächlich einen evolutionären Weg, bei dem zusätzliche Federn einen echten Vorteil boten, auch wenn sie zum Fliegen nicht ausreichten. (Natürlich schließen sich die Möglichkeiten nicht aus – Flügel können auch für beide Zwecke verwendet worden sein.)

Es hat ja in der Vergangenheit einige Spekulationen (besonders von Greg Paul) gegeben, ob Dromaeosaurier wegen ihres vogelartigen Körperbaus und den bei einigen von ihnen (zum Beispiel Rahonavis) gefundenen Federansätzen an den Knochen vielleicht von fliegenden Dinosauriern abstammten und sekundär flugunfähig waren so wie Strauße oder Pinguine. Das Ripper-Modell mit dem “Stabilitätsflattern” zeigt eine alternative Erklärungsmöglichkeit auf: Auch “halbe” Flügel können nützlich sein.

Natürlich braucht es weitere Untersuchungen, um die These zu stützen – beispielsweise könnte man versuchen herauszufinden, wie wichtig genau die Federn beim Stabilitätsflattern heutiger Vögel sind. Auf jeden Fall zeigt diese Untersuchung eine zusätzliche Möglichkeit, wie sich der Vogelflug entwickelt haben könnte.


Phillip L Manning, David Payne, John Pennicott, Paul M Barrett and Roland A Ennos
Dinosaur killer claws or climbing crampons?
Biol. Lett. 2006 2, 110-112
doi: 10.1098/rsbl.2005.0395

Fowler, D., Freedman, E., & Scannella, J. (2009). Predatory Functional Morphology in Raptors: Interdigital Variation in Talon Size Is Related to Prey Restraint and Immobilisation Technique PLoS ONE, 4 (11) DOI: 10.1371/journal.pone.0007999

Fowler, D., Freedman, E., Scannella, J., & Kambic, R. (2011). The Predatory Ecology of Deinonychus and the Origin of Flapping in Birds PLoS ONE, 6 (12) DOI: 10.1371/journal.pone.0028964

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Kommentare (5)

  1. #1 rolak
    7. Januar 2012

    Die Idee mit der Flügelschlag-Entstehung gefällt mir.

    Die anscheinend bevorzugte (und zugegebenermaßen naheliegende) Aussprache von RPR nicht – weil die Funktion eben ein Halten und kein Aufschlitzen ist. Doch das ist latürnich eher mein Problem 😉

  2. #2 MartinB
    7. Januar 2012

    @rolak
    Aber das Wortspiel ist doch trotzdem schön, da kann man auch mal Abstriche machen, oder?

  3. #3 rolak
    7. Januar 2012

    Sicher doch, schon deswegen, weil (der Anthropomorphismus sei erlaubt) es um eiskalte Killer geht.
    Nur bildet es für mich eine verführerische Falsch-Eselsbrücke… Muß ich halt eine andere einüben, einstec{h|k}enderweis.

  4. #4 beka
    7. Januar 2012

    Eine Rückverlagerung der Großzehe gibt es auch bei den Gliedmaßen der Primaten (siehe Lori). Beim Menschen dient die Großzehe zum Gleichgewicht halten, beim Lori zum Greifen wie bei einem Greifvogel.

    Die Zehen des Chamäleons sind teilweise miteinander verwachsen und taugen kaum zum Laufen. Die Gliedmaßen der Faultiere eignen sich nur als Kleiderbügel, zum Laufen sind sie völlig ungeeignet. Huftiere laufen auf den Zehenspitzen, wer als Pferd damit nicht umgehen kann, fällt halt um.

    Die Ausbildung der hinteren Gliedmaßen und die Ausbildung einer Flugfähigkeit dürften unterschiedliche Entwicklungen sein. Beides wird entsprechend der Veranlagung und Wirksamkeit verstärkt eingesetzt.

  5. #5 MartinB
    7. Januar 2012

    @beka
    So richtig weiß ich nicht, was du mit deinem Kommentar sagen willst.