Geschlechtergerechte Sprache ist ja immer ein Aufregerthema. Versteht nicht jeder sofort, was gemeint ist und weiß, dass “die Studenten” natürlich auch Frauen sein können? Beeinflusst ein solches “generische Maskulinum” unser Denken? Eine wissenschaftliche Studie, auf die ich kürzlich aufmerksam gemacht wurde, gibt eine einigermaßen klare Antwort auf diese Frage.
Es ist natürlich nicht ganz einfach, diese Frage zu untersuchen, denn man braucht ja einen Vergleich zwischen Formulierungen mit generischem und ohne generisches Maskulinum, und wirklich neutrale Formen sind im Deutschen ja ziemlich selten und ungewohnt. Die ForscherInnen haben deshalb drei unterschiedliche Sprachen miteinander verglichen: Deutsch und Französisch als Sprachen mit ausgeprägtem “generischen Maskulinum” sowie Englisch als wesentlich neutralere Sprache.
Dann legten sie Versuchspersonen Satzpaare in den jeweiligen Sprachen vor, beispielsweise dieses:
(1) Die Sozialarbeiter gingen durch den Bahnhof.
(2) Weil das Wetter schön war, trugen einige der Frauen keinen Mantel.
Die Versuchspersonen sollten dann entscheiden, ob der zweite Satz eine korrekte Fortführung des ersten Satzes sein könnte. Wenn “die Sozialarbeiter” ein generisches Maskulin ist, dann ist das sicherlich korrekt, wenn “die Sozialarbeiter” dagegen als männlich verstanden werden, dann nicht.
Natürlich hat man hier das zusätzliche Problem, das gewisse Bezeichnungen für Personen tendenziell eher als männlich oder weiblich stereotypisiert sind – Kosmetiker sind wohl meist weiblich, Ingenieure öfters männlich.
In einer Voruntersuchung wurden deshalb insgesamt 126 Personenbezeichnungen von Versuchspersonen danach eingestuft, ob es sich hier eher um Männer oder um Frauen handeln dürfte. Von diesen 126 Gruppenbezeichnungen wurden 36 ausgewählt, die von
Sprechern aller drei Sprachen als deutlich “typisch männlich”, “typisch
weiblich” oder “neutral” eingestuft wurden.
So entstehen also drei Gruppen von Personenbezeichnungen: Solche mit eher männlichem Stereotyp (Spion, Politiker, Flieger), solche mit eher neutralem Stereotyp (Spaziergänger, Kinobesucher, Nachbar) und solche mit weiblichem Stereotyp (Krankenpfleger, Wahrsager, Geburtshelfer).
Anschließend wurden dann verschiedene Satzpaare wie im Beispiel oben verwendet und von Versuchspersonen danach eingestuft, ob der zweite Satz jeweils eine gültige Fortsetzung des ersten sein könnte.
Bei den englischsprechenden Versuchspersonen war das Ergebnis ziemlich eindeutig: Wenn es sich um ein männliches Stereotyp bei der Personenbezeichnung handelte, dann akzeptierten 88% der Versuchspersonen eine Fortsetzung mit männlichen Begriffen, aber nur 65% eine, bei der der zweite Satz von Frauen handelte. Bei einem weiblichen Stereotyp war es umgekehrt, 85% akzeptierten einen zweiten Satz, in dem es um Frauen ging, 66% einen Satz mit Männern. War das Stereotyp neutral, so wurden 81% der Fortsetzungssätze akzeptiert, unabhängig vom Geschlecht, das im zweiten Satz spezifiziert wurde.
Die Schlussfolgerung ist hier ziemlich klar: Englischsprechende Versuchspersonen lassen sich tendenziell vom Stereotyp leiten, also davon, ob die jeweils beschrieben Personengruppe tendenziell als männlich, weiblich oder neutral empfunden wird, und halten eine zum Stereotyp passende Fortsetzung für plausibler.
Betrachten wir als nächstes die französisch-sprechende Gruppe. Bei einem männlichen Stereotyp wurde ein Fortsetzungssatz mit Männern in 83% der Fälle als gültig akzeptiert, einer mit Frauen nur mit 58%. Von den insgesamt etwas geringeren Prozentzahlen abgesehen, ist das Ergebnis dem der Englisch-Sprechenden sehr ähnlich. War aber das Stereotyp im ersten Satz weiblich, dann wurden trotzdem Männer im Fortsetzungssatz mit 77% akzeptiert, Frauen nur mit 59%. Im Fall eines neutralen Stereoytps war das Ergebnis ähnlich, Männer wurden in 73% der Fälle akzeptiert, Frauen in 56% der Fälle.
Es ist also, anders als bei den Englisch-Sprechenden, nicht das Stereotyp, das entscheidet, sondern es werden in allen Fällen eher Männer als Frauen als mögliche Fortsetzung für einem Satz akzeptiert, der ein generisches Maskulinum verwendet.
Im Deutschen waren die Ergebnisse prinzipiell ähnlich wie im Französischen, allerdings auf einem insgesamt niedrigeren Prozentniveau: Bei männlichem Stereotyp wurden Männer in 69% der Fälle akzeptiert, Frauen in 35% der Fälle, bei neutralem Stereotyp waren es 72% und 45%, bei weiblichem Stereotyp 65% und 40%. Auch hier sind die Zahlen also in allen drei Fällen ähnlich und es wurden generell Männer eher als gültige Fortsetzung akzeptiert als Frauen.
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