Achtung, dies bedeutet nicht, dass die entsprechenden Stereotypen im Deutschen oder Französischen nicht existieren – die wurden ja in einer Voruntersuchung gefunden. Aber obwohl die meisten beim Beruf “Kosmetiker” eher an eine Frau denken, wird dieser Effekt anscheinend durch das generische Maskulinum überlagert.
Allerdings fällt auf, dass die Zahlen bei den Französisch- und Deutsch-Sprechenden Versuchspersonen generell niedriger ausfallen. Man könnte argumentieren, dass diese den ersten Satz eben als generisch interpretieren, also implizit erwarten, dass es sich um eine gemischt-geschlechtliche Gruppe handelt, und deshalb dann den zweiten Satz häufiger nicht akzeptieren, weil “einige der Frauen” dann für sie implizierte, dass es sich im zweiten schon im ersten Satz ausschließlich um Frauen handelt.
Die ForscherInnen halten diese Erklärung – zumindest als alleinige – für nicht zutreffend. Zum einen, weil man dann erwarten müsste, dass zumindest einige Versuchspersonen solche Fortsetzungssätze mit weiblicher Fortsetzung niemals akzeptieren. So ist es aber nicht, die Akzeptanz fällt zwar geringer aus, aber es gab keine Versuchsperson, die eine weibliche Fortsetzung im zweiten Satz grundsätzlich immer ablehnte.
Die Autorinnen führen noch ein weiteres Argument an, das ich aber nicht verstanden habe, deswegen hier nur das Zitat:
Furthermore, in our pilot study female continuations were only taken to indicate that the group comprised exclusively of women in six instances (4%).
Woher diese Information stammt, ist mir aus dem Text nicht klar geworden.
Ein weiterer Einwand könnte darin bestehen, dass sich die englische Kultur einfach generell stark von der deutsch- oder französisch-sprachigen Kultur der Schweiz (wo die Experimente stattfanden) unterscheidet. Dafür gibt es aber keinen Beleg, und die Untersuchung, welche Rollen wie stereotypisiert werden, hat einen solchen Unterschied auch nicht gezeigt. Wer also so argumentieren will, müsste dafür einen Beleg bringen.
Es wurde übrigens auch untersucht, wie lang die Reaktionszeiten bei positiven Antworten jeweils waren – braucht jemand, der deutsch oder französisch spricht, länger, um zu erkennen, dass eine weibliche Fortsetzung für ein generisches Maskulinum möglich ist? In der Arbeit wird dies zumindest bei der deutschsprachigen Gruppe gefunden (in einer leider nicht sehr genau ausgeführten statistischen Analyse), bei der französischsprachigen nicht. Die Daten sind allerdings nicht besonders eindeutig, weil die Streuung der Versuchsergebnisse sehr hoch und der Effekt eher klein ist. Sehr ausgeprägt ist ein solcher “Verzögerungseffekt” also anscheinend nicht.
Weitere Experimente wurden in Norwegen durchgeführt. Norwegisch hat anscheinend ursprünglich ähnlich klare grammatische Geschlechter wie das Deutsche oder Französische, in den letzten 30 Jahren wurde aber die Sprache so verändert, dass die weiblichen Bezeichnungen immer weniger verwendet wurden, so dass das männliche Geschlecht heutzutage tatsächlich generisch verwendet wird wie im Englischen. Es zeigte sich, dass bei der Akzeptanz einer gültigen Fortsetzung bevorzugt Männer gewählt wurden, wenn es sich um ein männliches Stereotyp handelte, und Frauen bei einem weiblichen Stereotyp, so wie im Englischen. Ist das Stereotyp allerdings neutral (wie “Nachbar”), dann gab es eine Bevorzugung von Männern gegenüber Frauen. Die Autoren schließen daraus, dass es immer noch einen “Nacheffekt” der ursprünglichen Sprachform gibt – ob das wirklich plausibel ist, weiß ich nicht.
Was meiner Ansicht nach bei diesen Studien schade ist, ist, dass keine echt neutralen Formen im Deutschen ausprobiert wurden, wie beispielsweise “Kind”, “Mitglied”, “Person” oder auch moderne Konstrukte wie “Studierende”. Das könnte zeigen, ob in diesem Fall dann keine Bevorzugung eines Geschlechts mehr vorliegt, wie im Englischen, oder ob auch dann die männliche Form gegenüber der weiblichen deutlich bevorzugt wäre (so wie bei den stereotyp-neutralen Formen im Norwegischen). Wie gesagt, da das Experiment so nicht durchgeführt wurde, kann man hier nur spekulieren.
So oder so scheint mir das Ergebnis der Studien relativ deutlich: Das sogenannte “generische Maskulinum” wird tendenziell eher als echtes Maskulinum verstanden und es fällt Versuchspersonen schwerer, sich unter einer generischen Form Frauen vorzustellen. Anscheinend beeinflusst die Grammatik unser Denken also doch. Grund genug, über geschlechtsneutrale Formulierungen nachzudenken.
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