Nehmen wir kurz an, der untere Spalt wäre zu, dann wäre das Elektron zur Zeit t am Ort des oberen Spaltes. Diesen Zustand nennen wir |o⟩. Ist umgekehrt der untere Spalt offen, aber der obere nicht, dann ist das Elektron im Zustand |u⟩. Die Schreibweise mit den spitzen Klammern ist dabei in der Physik absolut üblich und geht auf Dirac zurück.
Wenn nur einer der Spalte offen ist, dann sehen wir kein Interferenzmuster auf unserem Schirm. Sind also beide Spalte geöffnet, dann kann das Elektron nicht einfach im Zustand |o⟩ oder |u⟩ sein. Stattdessen ist es in einem Mischzustand aus beiden, einem Überlagerungszustand.
Wir können das schreiben als
Zustand = α |o⟩ + β |u⟩
Dabei sind α und β jeweils zwei komplexe Zahlen – es sind nämlich genau die Wahrscheinlichkeitsamplituden für den Zustand |o⟩ bzw. |u⟩. Auch den Zustand mit geschlossenem unteren Spalt können wir so schreiben, dann ist einfach β=0. (Für den oberen Spalt gilt das genauso.)
Damit die Wahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu haben, gleich 1 ist, muss |α|2+|β|2=1 gelten.
Fazit: Es gibt beim Doppelspalt zwei Zustände, in denen das Elektron eindeutig entweder am oberen oder unteren Spalt ist, aber ein beliebiger Zustand des Elektrons ist eine Überlagerung dieser beiden Zustände.
Die Wellenfunktion
Wir hatten dann den Weg vom Doppelspalt hin zu einem Vielfachspalt gemacht, bis wir am Ende so viele Spalte hatten, dass der gesamte Raum von Spalten bedeckt war. Wir haben dann über alle denkbaren Pfade summiert und uns über Zustände keine Gedanken gemacht.
Die Logik für die Beschreibung des Zustands bleibt aber dieselbe wie eben: Wir könnten das Elektron zu einer bestimmten Zeit an einem Ort x finden. Wenn es wirklich genau an diesem Ort ist und nirgends anders, dann ist sein Zustand einfach |x⟩. (Dafür gibt es auch eine mathematische Formel, aber das schöne an dieser Dirac-Notation ist, dass man die Formeln nicht immer explizit hinschreiben muss.)
Meist wissen wir aber nicht genau, wo das Elektron ist. Der allgemeine Zustand des Elektrons ist eine Überlagerung aus allen möglichen Ortszuständen. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude dafür, das Elektron am Ort x zu finden, nennen wir ψ(x). Dann können wir schreiben
Zustand = ∑ ψ(x) |x⟩
Damit ist dann die Wahrscheinlichkeit, das Elektron am Ort x zu finden, gleich |ψ(x)|2, das war ja gerade die Bedeutung des Begriffs “Wahrscheinlichkeitsamplitude”. (Das hatten wir vor seeeehr langer Zeit gesehen, damals haben wir noch Pfeile für Amplituden gemalt.)
Mathematisch etwas sauberer wäre es, ein Integral (das ist jetzt kein Pfadintegral, sondern ein ganz gewöhnliches Integral über eine einzige Variable x) zu nehmen, weil es ja unendlich viele Orte gibt. Also:
Zustand = ∫ dx ψ(x) |x⟩
Das werdet ihr so selten in Büchern geschrieben finden, meist schreibt man für den ganzen Zustand kurz |ψ(x)⟩ dafür, aber eigentlich ist das verwirrend, denn es gibt zum einen den Zustand |x⟩ und zum anderen dessen Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(x), und das sind zwei verschiedene Dinge.
ψ(x) wird oft auch als die “Wellenfunktion” bezeichnet – werde ich später auch so machen. Die Wellenfunktion hatte ich in einem der früheren Teile schon mal kurz besprochen. Sie ist das zentrale Objekt in der normalen Formulierung der Quantenmechanik.
Bisher haben wir das Elektron an verschiedenen Orten angeguckt, also Ortszustände |x⟩ betrachtet. Stattdessen können wir aber auch den Trick mit den Wellen anwenden, und Wellenzustände betrachten. Ein Zustand |k⟩ wäre dann ein Zustand, in dem das Elektron (bzw. seine Wellenfunktion) eine ebene Welle mit Wellenvektor k ist. (Mehr darüber findet ihr auch in meiner alten Schrödinger-Gleichungs-Serie.) So sieht so eine Welle aus:
Dabei bewegt sich das Elektron nur in einer Dimension (entlang der Korkenzieherachse), die beiden anderen Richtungen, die mit Re und Im gekennzeichnet sind, zeigen jeweils, wohin die Spitze des Amplitudenpfeils an diesem Punkt gerade zeigen würde (mathematisch also den Real- und Imaginärteil von ψ(x)).
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