Hatte unser Universum einen Anfang? Oder gab es etwas vor dem Urknall? Wenn ja, was könnte das gewesen sein. Der Physiker Roger Penrose spekuliert in seinem Buch “Cycles of Time” über diese und andere offene Fragen der Physik
Roger Penrose ist einer der brillantesten Physiker unserer Zeit – daran besteht sicher kein Zweifel. Sein Buch “Road to Reality”, in dem er die gesamte theoretische Physik (auf sehr hohem mathematischen Niveau – lasst euch bloß nicht von der Einleitung täuschen, in der er behauptet, jeder, der Bruchrechnung verstehen könne, könne die Mathematik in seinem Buch nachvollziehen) abhandelt, ist inzwischen wohl schon ein Klassiker, der insbesondere von Physik-Studis gern gelesen wird. (Falls jemand eine funktionierende Zeitmaschine hat, kann er oder sie mir bitte eine Kopie ins Jahr 1987 zurückschicken?)
Seine Ideen sind immer originell, allerdings auch oft sehr spekulativ. Auf jeden Fall lohnt es sich, mal einen Blick in sein neues Werk “Cycles of Time” zu werfen – und das habe ich in meinem Urlaub getan.
Der Ausgangspunkt des Buches ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik: Die Entropie im Universum nimmt immer weiter zu. Die Entropie ist eine zentrale Größe der Physik – grob gesagt gibt sie an, wie viele Möglichkeiten es gibt, einen bestimmten Zustand eines Systems zu relaisieren. Beispielsweise ist die Entropie in einem idealen Gas, in dem die Moleküle nicht miteinander wechselwirken, dann am höchsten, wenn die Gasmolekül sich möglichst gleichmäßig ausbreiten. Das ist letztlich eine Frage der Statistik: Wenn die Gasmoleküle alle zufällig durcheinanderfliegen, dann gibt es eben viel mehr Möglichkeiten dafür, dass sie sich gleichmäßig verteilen als dafür, dass sie sich zum Beispiel alle in einer Ecke ansammeln. (Eine ausführliche Erklärung der Entropie findet ihr übrigens, wenn ihr oben auf Artikelserien klickt.)
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik sagt genau das: Die Entropie in einem abgeschlossenen System (wie dem Universum) nimmt immer weiter zu, weil es von einem unwahrscheinlichen Anfangszustand zu einem wahrscheinlicheren Endzustand getrieben wird.
Penrose sieht hier allerdings ein Problem: Direkt nach dem Urknall war das gesamte Universum sehr gleichmäßig von Teilchen bzw. Strahlung erfüllt. Eigentlich sollte das dann doch ein Zustand mit sehr hoher Entropie sein, weil er eben sehr gleichmäßig ist. Wenn das so ist, wie kommt es dann, dass die Entropie im Universum noch weiter steigen konnte und sich dabei Strukturen wie Sterne bilden konnten, die den Raum ungleichmäßig ausfüllen?
Penrose argumentiert, dass der Grund dafür die Gravitation ist – wenn Materie sich verklumpt, dann steigt dabei die Entropie wegen der Gravitation. Penrose nimmt an, dass das Gravitationsfeld (besser gesagt, die Raumkrümmung (ratet mal, wo ihr klicken müsst, wenn ihr eine Serie über die Raumkrümmung lesen wollt…)) selbst eine gewisse Entropie enthält. Er macht dies an dem bekannten Phänomen der Entropie schwarzer Löcher fest.
Schwarze Löcher sind vermutlich jedem irgendwie ein Begriff: Sie entstehen, wenn man Materie so stark zusammenballt, dass das Schwerefeld an der Oberfläche des Materieklumpens so stark wird, dass nicht mal Licht mehr diesem Schwerefeld entkommen kann. In der Nähe des Schwarzen Loches ist deshalb das Schwerefeld typischerweise sehr stark (aber trotzdem sind Schwarze Löcher keine Staubsauger). Dank der Überlegungen von Steven Hawking (und vor ihm Jakob Bekenstein) weiß man, dass Schwarze Löcher trotzdem nicht vollkommen schwarz sind – sie strahlen auf Grund eines komplizierten Quanteneffekts Licht aus, allerdings typischerweise extrem wenig (je größer das Schwarze Loch, desto weniger Licht sendet es aus). Man kann ihnen deswegen eine Temperatur und damit auch eine Entropie zuordnen, und die Entropie eines Schwarzen Lochs ist extrem groß.
Penrose argumentiert deshalb, dass bei der Verklumpung der Materie nach dem Urknall (wo sich ja zum Beispiel die Galaxienkerne mit ihren riesigen Schwarzen Löcher gebildet haben) die Entropie zugenommen hat und dass dies letztlich der Grund dafür ist, dass wir im Universum überall eine Zunahme der Entropie beobachten.
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