Vor etwa 540 Millionen Jahren veränderte sich die Tierwelt auf der Erde plötzlich und drastisch: Innerhalb einer – geologisch gesehen – kurzen Zeit von 5-10 Millionen Jahren entwickelten sich zahlreiche neue Tierstämme mit unterschiedlichen Bauplänen. Darunter waren auch die symmetrischen Tiere (Bilateria), die heutzutage die Tierwelt ja dominieren.
Kurze Zeit später kam es zu einer weiteren bemerkenswerten Entwicklung: Schalen. Während die Tiere, die wir aus der Zeit vor dem Kambrium kennen, typischerweise reine Weichtiere waren, explodierte plötzlich die Zahl der Arten, die nach dem Grönemeyer-Prinzip konstruiert waren: “Außen hart und innen ganz weich”.
Über die Gründe für diese kambrische Explosion – von der man inzwischen sicher ist, dass sie ein echtes Phänomen ist, nicht nur ein Artefakt der schlechten Fossilienfunde – ist man sich nach wie vor im Unklaren. Vielleicht lösten einige neu entwickelte Arten ein biologisches Wettrüsten aus. Vielleicht waren es auch die Umweltbedingungen, beispielsweise ein niedriger Sauerstoffgehalt im Meerwasser. Oder vielleicht geben die Schalen einen Hinweis.
Schalen (und auch Knochen) enthalten Kalzium. Wenn am Anfang des Kambriums der Kalziumgehalt des Meerwassers angestiegen wäre, dann hätte das den Anlass für die Bildung von Schalen liefern können. Vielleicht war es so, dass die Tiere mit der hohen Kalziumkonzentration in ihrem Körper nicht klarkamen und deshalb Möglichkeiten suchten, das Kalzium loszuwerden. (Etwas ähnliches beobachten wir heute bei den Goldbakterien.) Dazu bildeten sie Kalziumverbindungen wie Kalziumkarbonat (das verwenden Schnecken, Muscheln und viele andere) oder Kalziumphosphat (das haben wir in unseren Knochen), die dann später zweckentfremdet wurden.
Damit diese Idee plausibel ist, müsste man natürlich erst einmal zeigen, dass zu Beginn des Kambriums der Kalziumeintrag ins Meerwasser tatsächlich stark angestiegen ist, und möglichst auch noch erklären können, wie das passiert ist. Und genau das ist vor kurzen gelungen.
Disclaimer: Der Rest dieses Textes befasst sich mit einer Wissenschaft, von der ich nur sehr wenig verstehe. Geologie fand ich nämlich eigentlich immer langweilig – bisher ist es mir in meinem Leben nur ein einziges Mal gelungen, ein Buch mit einem Geologie-Thema bis zu Ende zu lesen. Deswegen übernehme ich absolut keinen Hauch einer Garantie, dass das, was ich hier schreibe, alles korrekt ist (obwohl ich mir natürlich Mühe gebe). Wenn ihr also hier eure Hausarbeit abschreiben wollt, dann heult nicht, wenn ihr eine 6 bekommt. Und wenn ihr mehr Ahnung von Geologie habt als ich, dann hinterlasst eure Korrekturen bitte in den Kommentaren.
An Stellen der Erde stellt man fest, dass Gesteinsschichten aus dem Kambrium (die also so um die 500 Millionen Jahre alt sind) direkt über Schichten liegen, die wesentlich älter sind. Im Grand Canyon beispielsweise liegen 525 Millionen Jahre alte Schichten direkt oberhalb von solchen, die einige Hundert Millionen oder sogar mehr als eine Milliarde Jahre älter sind. Diesen “Sprung” in der Gesteinsschichtung bezeichnet man auch als “Große Diskordanz” (englisch “great unconformity”). Darwin glaubte, dass solche Diskordanzen lediglich auf fehlende Überlieferungen zurückzuführen sind, doch inzwischen geht man davon aus, dass es für die Große Diskordanz einen wesentlich dramatischeren Grund gibt: die Bildung und den Zerfall eines Superkontinents. (Was mal wieder zeigt, dass Darwin auch nicht alles wusste.)
Damit sich Gesteinsschichten bilden können, muss Material am Boden abgelagert werden (wie ihr seht, habe ich in Geologie doch den totalen Durchblick, da wärt ihr allein bestimmt nicht drauf gekommen, oder?). Natürlich gibt es immer ein Wechselspiel zwischen Ablagerung auf der einen Seite und Abtragung (beispielsweise durch Erosion) auf der anderen. Auf dem Meeresboden überwiegt typischerweise die Ablagerung (deswegen haben wir ja auch so viele Gesteinsschichten und entsprechend Fossilien aus dem Meer). An Land aber ist eher die Erosion stärker.
Vor etwas mehr als einer Milliarde Jahren formte sich auf der Erde der Superkontinent Rodinia. So etwa könnte die Erde damals ausgesehen haben:
By Kelvin Ma – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
Dass die Landmassen der Erde vor etwa 200 Millionen Jahren den Superkontinent Pangäa bildeten, ist ja vermutlich vielen bekannt, Aber auch in der weiteren Erdvergangenheit gab es immer wieder Superkontinente, bei denen alle Landmassen vereint waren. Einer davon war Rodinia.
Wenn sich ein Superkontinent bildet, dann werden Gesteinsschichten aufgefaltet und liegen nicht mehr unter Wasser. Dazu kommt, dass zu Zeiten, wo sich Superkontinente bilden, der Meeresspiegel typischerweise niedrig ist – es gibt also keine ausgedehnten flachen Meere vor den Kontinenten. Das wiederum liegt daran, dass das Gestein, dass sich an den Mittelozeanischen Rücken bildet (da, wo neuer Meeresboden entsteht und die Kontinente verschiebt), sich abkühlt und dabei seine Dichte vergrößert, wenn es nach außen wandert. Das senkt den Meeresspiegel, so dass die Kontinente stärker frei liegen. In so einer Zeit lagern sich dann vergleichsweise wenige Gesteinsschichten ab, die wir heute noch finden können, und es kommt zur Diskordanz.
Wenn sich so ein Superkontinent bildet, dann werden also weniger Gesteine abgelagert, weil der Kontinent größtenteils trocken liegt. Damit steigt zunächst die Erosion der Oberflächenschichten. Zuerst verwittert die Deckschicht aus losem Geröll und Boden (die man auch “Regolith” nennt). Liegt dann das Gestein darunter frei, so verwittert auch das, und zwar (was ich nicht erwartet hätte) sogar schneller als der Regolith.
Irgendwann vor dem Kambrium brach dann Rodinia auseinander. Der Meeresspiegel stieg wieder an. Jeder, der schon mal am Strand auf die Wellen geguckt hat, kann sich vermutlich vorstellen, dass das zu besonders starker Erosion führt – die GeologInnen sprechen anscheinend vom “wave-base razor” (“Wellenrasierer”). In kurzer Zeit gibt es also viel Erosion und jede Menge Gestein und Geröll wird abgetragen und ins Meer gespült.
Und dort sollte dann entsprechend auch der Gehalt an Mineralien ansteigen, unter anderem auch an Kalzium.
So weit das Szenario. Wäre natürlich schön, wenn es dazu Belege gäbe. Die hat man dadurch gefunden, dass man eine gigantische Menge (über 21000) an unterschiedlichen Gesteinsschichten in den USA untersucht und statistisch ausgewertet hat.
Aus dieser Auswertung lässt sich abschätzen, wie groß die Landfläche war, die in den verschiedenen Erdzeitaltern der Erosion ausgesetzt war:
(Quelle: Shanan et al., s.u.)
Unten seht ihr die Zeitachse, ganz links ist das Kambrium (Cm) mit dem gigantischen Anstieg. Das obere Teilbild zeigt die Größe der erodierenden Landfläche. Ihr seht, dass sie im Kambrium ein Maximum hat. (Woher die anderen Maxima stammen, wird leider nicht diskutiert – der zweite Superkontinent Pangäa zerfiel während Jura- und Kreidezeit, wo man einen deutlich niedrigeren Anstieg sieht, aber das ausgeprägte Maximum am Ende das Carbon-Zeitalters passt in meinen Augen nicht so ganz dazu.)
Das zweite Teilbild zeigt, wenn ich es richtig verstehe, den Eintrag von Karbonaten, der ebenfalls entsprechend ansteigt. Einen weiteren Hinweis darauf, dass diese Karbonate tatsächlich von der Erosion der Landflächen stammen, liefert das Isotopenverhältnis des Kohlenstoffs. Karbonate, die von Pflanzen erzeugt werden, haben ein anderes Verhältnis der unterschiedlichen Kohlenstoff-Atomsorten als solche, die in anorganischen Prozessen hergestellt wurden. (Das mit den Kohlenstoff-Isotopen habe ich in anderem Zusammenhang neulich hier erklärt, klickt einfach den Link und schaut auf den zweiten Teil des Textes dort.) Die Karbonate, die man in kambrischen Gesteinen gefunden hat, haben genau die Zusammensetzung, die man erwarten würde, wenn sie sich direkt aus dem Meerwasser abgesetzt hätten, ohne dass dabei irgendwelche Pflanzen im Spiel waren.
Auch der Kalziumgehalt selbst (und um das Kalzium geht es ja eigentlich, wegen der Schalen) ist in kambrischen Gesteinen deutlich erhöht. (Es gibt auch noch weitere Argumente in der Arbeit, aber die Details erspare ich mir; bei Worten wie “glauconite-rich siliciclastic rock units” gruselt’s mich etwas. )
Alles in allem zeigt sich also, dass im Kambrium anscheinend tatsächlich verstärkt Mineralien, darunter auch Kalzium, ins Meerwasser eingetragen wurden. Ob das nun tatsächlich der Grund für die kambrische Explosion war, ist damit natürlich noch nicht erwiesen, aber diese Idee erscheint so zumindest plausibel.
Quelle
Shanan E. Peters & Robert R. Gaines
Formation of the ‘Great Unconformity’ as a trigger for the Cambrian explosion
Nature 484 (2012) 363
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