Das gleiche gilt auch für ein Elektron, das beispielsweise an ein Proton gebunden ist und ein Wasserstoff-Atom formt: Es gibt bei einer Ortsmessung immer die Möglichkeit, das Elektron hundert, tausend oder zehntausend Kilometer vom Proton entfernt vorzufinden – was unserem Bild eines Atoms ein bisschen entgegensteht. (Die Wahrscheinlichkeit dafür ist natürlich unglaublich winzig, aber wie gesagt, hier geht es ums Prinzip der Sache.)
Also: Solange wir ein Teilchen nicht beobachten, ist es nicht an einem bestimmten Ort, sondern es ist in einem Zustand, der eine Überlagerung aus unterschiedlichen Möglichkeiten ist. Erst wenn wir eine Messung durchführen, dann “realisieren” wir dadurch eine dieser Möglichkeiten. Mehr als diese Wahrscheinlichkeiten kann man mit den Mitteln der Quantenmechanik nicht vorhersagen – was in einem konkreten Einzelfall passiert, ist absolut zufällig.
3. Wo ist das Molekül?
Statt mit Elektronen kann man dasselbe Spiel auch mit größeren Objekten machen. Wie groß? Das ist eine zur Zeit heiß diskutierte Frage, aber zumindest mit ganzen Molekülen klappt das Experiment in ganz ähnlicher Weise, wie ich neulich erklärt habe. Schickt man Moleküle durch einen Doppelspalt, dann kann man ein hübsches Interferenzmuster beobachten, das zeigt, dass die Moleküle tatsächlich “an zwei Orten gleichzeitig” sind – jedenfalls gilt das für ihre Wellenfunktion. Auch ganze Moleküle sind also nicht an einem bestimmten Ort, wenn niemand sie misst, auch sie haben eine Wellenfunktion . Ob es irgendwo eine Grenze gibt, oberhalb derer Objekte nicht mehr in einem solchen Überlagerungszustand sein können, ist unklar – bisher gibt es keine eindeutige experimentelle Grenze, aber es ist möglich, dass sie existiert.
Wir halten fest:
In der QM werden Objekte durch ihre Wellenfunktion beschrieben. Wenn man sie nicht beobachtet, haben sie eine Wahrscheinlichkeit, sich an unterschiedlichen Orten aufzuhalten; erst wenn man sie misst, dann kollabiert die Wellenfunktion und ist am Ort der Messung 1, überall sonst Null.
Dieser Kollaps der Wellenfunktion passiert “sofort” – denn wenn ich das Objekt an einem Ort messe, kann es ja nicht erst eine Weile dauern, bevor seine Wahrscheinlichkeit, anderswo zu sein, verschwindet. Die Wellenfunktion kollabiert also “unendlich schnell”. Gäbe es die Relativitätstheorie nicht, könnte man das so akzeptieren, aber dass die Wellenfunktion anscheinend mit Überlichtgeschwindigkeit kollabiert, ist schon ein bisschen schwer verdaulich (auch wenn es der Relativitätstheorie nicht explizit widerspricht, weil man mit einer kollabierenden Wellenfunktion keine Signale übertragen kann – das habe ich hier mal kurz diskutiert.)
Intermezzo: Was ist eine Messung? Um die Frage, wann denn nun eine Messung stattfindet, habe ich mich bisher gedrückt. Warum ist denn nicht auch der Detektor bei A in einem Überlagerungszustand, und dann der Experimentator usw.? Das ist das Problem von Schrödingers berühmter Katze. Nach der Standard-Interpretation der Quantenmechanik findet eine Messung durch eine Wechselwirkung mit einem “klassischen Objekt” statt, also einem Objekt, das hinreichend groß ist, um den Regeln der klassischen Physik zu genügen. Nach dieser Interpretation kann sich ein Objekt wie der Mond also sozusagen “selbst messen”, weil er groß genug ist. Das Problem dieser Deutung ist, dass sich der Mond ja aus lauter quantenmechanisch zu beschreibenden Einzelteilchen zusammensetzt, so dass konzeptionell nicht klar ist, wie so ein “klassisches Objekt” entstehen soll. Das klassische Lehrbuch von Landau-Lifshitz spricht in diesem Zusammenhang von der “zwiespältigen Rolle der klassischen Mechanik als Grenzfall und gleichzeitig als Grundlage der Quantenmechanik”. (In den letzten Jahren hat man zwar experimentell einiges darüber herausgefunden, wie Quantensysteme sich durch Kontakt mit einer großen Außenwelt verändern (Stichwort “Dekohärenz”), das fundamentale Problem wird dadurch aber nicht gelöst.) Was genau eine Messung ist, ist also nicht wirklich klar – Einigkeit herrscht aber darüber, dass wir bei einer Messung niemals einen Überlagerungszustand sehen (es gibt nie zwei “halbe” Signale unserer Photonen-Detektoren). Auch dazu könnte man noch viieel mehr schreiben, aber dieser Text ist eh schon viel zu lang… (Ende des Intermezzos)
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