Aber einen Versuch ist es trotzdem wert, diese Ängste zu hinterfragen. Warum haben wir eigentlich Angst davor, in Hundert Jahren nicht zu existieren, finden es aber völlig normal, dass wir zur Zeit gerade nicht auf Alpha Centauri existieren? Wenn es wirklich die Begrenztheit unseres Lebens ist, die uns ängstigt, warum empfinden wir dann die räumliche Begrenztheit so anders (und weniger verstörend) als die zeitliche Begrenztheit? Warum ist es für die Bedeutung unseres Lebens wichtig, dass uns auch in 1000 Jahren noch jemand kennt, aber nicht so wichtig, ob uns überall auf der Welt jemand kennt?
Natürlich liegt das daran, dass wir – allen wissenschaftlichen Gegenargumenten zum Trotz – Raum und Zeit als etwas fundamental Unterschiedliches wahrnehmen. Wir planen in der Zeit voraus – auch das wieder wegen unseres Selbsterhaltungstriebs – weil wir das Gefühl haben, uns durch die Zeit zu bewegen. Vermutlich aber ist auch das nur eine Illusion, die auf der Annahme beruht, dass unser Ich eine fortdauernde Identität besitzt.
Ob das wirklich so ist, erscheint allerdings fraglich. Unser “Ich” verändert sich ständig, und auch wenn eine nahtlose Kette von “Ichs” den MartinB von vor 20 Jahren mit dem von heute verbindet, so sind beide doch deutlich verschiedene Wesen, die zwar viele Gemeinsamkeiten haben, aber auch viele Unterschiede. Letztlich sterben wir in jedem Moment, und in jedem Moment wird ein anderes “Ich” geboren, das mit dem vorigen zwar viele Gemeinsamkeiten hat, mit ihm aber nie identisch sein kann.
Dieser Aspekt wird von den Anhängern der Idee eines “Lebens nach dem Tod” gern ignoriert – welches “Ich” soll denn im Jenseits wiederbelebt werden? Der Mensch von heute? Der, der ihr kurz vor eurem Tod sein werdet? Oder keiner von denen, sondern nur eine Art “Essenz” aus all euren unterschiedlichen Ichs? Wenn das aber so ist, stirbt dann der Mensch, der ihr jetzt gerade seid, nicht doch unwiderruflich, und nur eine veränderte Kopie existiert weiter? Und heißt es nicht umgekehrt, dass am Ende eben nichts ungewöhnliches passiert, sondern nur etwas, das wir eigentlich – ohne uns dessen bewusst zu sein – täglich erleben?
Und die Bedeutungslosigkeit? Ist es nicht schrecklich, dass wir dem Universum egal und “nur” eine Ansammlung von Molekülen sind? Aber auch hier gilt, dass die Dinge sich vielleicht anders darstellen, wenn man sie etwas genauer anschaut. Was ist denn überhaupt “Bedeutung”? Woher kommt sie? Ist ein Gemälde von van Gogh nicht auch nur eine Ansammlung von Farbstoffmolekülen auf einer Leinwand und deswegen nicht mehr als ein beliebiger Haufen Farbkleckse?
Wenn ihr eine “universelle” Bedeutung sucht, dann mag das so sein. Aber Bedeutung entsteht als Bedeutung für uns – und ist auch nicht für alle Menschen dieselbe; was dem einen als grausamer Lärm erscheint, empfindet der andere als coole Mucke. Das Universum kennt keine Bedeutung in diesem Sinne – Bedeutung ist das, was wir daraus machen.
Diesen Gedanken wiederum darf man als tröstlich empfinden. Wenn es keine universelle Ethik gibt (wie wir im zweiten Teil gesehen haben) und auch keine universelle Bedeutung, dann haben wir Menschen die Freiheit, unserem Leben selbst eine Bedeutung zu geben. Räumlich und zeitlich mögen wir endlich sein – aber das macht uns auch einzigartig und kostbar. Welche Bedeutung wir für uns in unserer kleinen Nische des Universums schaffen, liegt in unserer Hand.
Kommentare (184)