Haben wir einen freien Willen? Oder ist jede unserer Entscheidungen determiniert? Das ist sicher eine der berühmtesten Fragen der Philosophie. Leider habe ich bei Diskussionen zu diesem Thema immer ein Problem: Ich verstehe sie nicht.
Anscheinend gibt es hier zwei Standpunkte, die ich oben schon kurz zusammengefasst habe: Der eine Standpunkt (der “deterministische”) besagt, dass die Welt vollständig kausal bedingt ist und dass deswegen (von Quanteneffekten vielleicht mal abgesehen, die helfen aber nicht wirklich) jede Entscheidung, die ich treffe, durch den Zustand der Welt zu Beginn des Entscheidungsprozesses determiniert ist. Es ist nach diesem Standpunkt also nicht denkbar, dass ich mich auch hätte anders entscheiden können. Als jemand, der gern naturwissenschaftlich denkt, kann ich mich mit dieser Sicht der Dinge sehr gut anfreunden (sie passt auch ganz prima zum Bild des Blockuniversums). Weil hier jede Entscheidung bereits determiniert ist, scheint diese Sicht der Dinge mit der Willensfreiheit nicht vereinbar.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die für einen freien Willen plädieren. Hiernach ist es eben nicht so, dass jede meiner Entscheidungen bereits vorherbestimmt ist – vielmehr habe ich einen “Freien Willen” und kann “unbeeinflusst” zu einer Entscheidung gelangen, die auch hätte anders ausfallen können.
Und jetzt kommt mein kleines Problem mit der Debatte: Ich verstehe diesen zweiten Standpunkt nicht. Das soll nicht heißen, dass ich ihn einfach nur nicht teile oder für falsch halte – nein, ich habe wirklich keine Ahnung, wie die Aussage, dass ich meine Entscheidung “frei treffe”, gemeint sein könnte.
Ich mache das ganze mal konkret an einem Beispiel fest. Nehmen wir an, mein Freund X erzählt mir, dass er ein Problem mit seinem Computer hat. Klar, ich habe viel zu tun und kann mir generell schöneres vorstellen, als am Wochenende einen Computer zu kurieren, aber X ist ja ein echt netter Kerl und ich weiß ja selbst, wie es ist, wenn einem so etwas passiert und damals hat er mir ja auch geholfen und…. Nach kurzer Denkpause sage ich also “Kein Problem, ich kann ja am Wochenende mal vorbeikommen und mir das Ding angucken, wenn du willst.”
Ich nehme mal an, dass ein solchen Denkprozess als “freier Willensakt” gelten kann (ansonsten weiß ich nicht, was damit gemeint sein soll) – ich habe zwei Möglichkeiten, mich zu entscheiden, beide haben ihre Vor- und Nachteile (ich muss meine Freizeit abwägen gegen die Hilfe für einen Freund), und ich wäge ab und komme zu einem Ergebnis, das – nach meinem Gefühl – auch anders hätte ausfallen können (und unter anderen Bedingungen (wenn ich etwa ganz furchtbar im Stress bin) auch anders ausgefallen wäre).
Unter den gegebenen Bedingungen habe ich mich aber entschlossen, X zu helfen. Wenn das jetzt eine “freie” Entscheidung war, heißt das, dass ich mich unter genau diesen Bedingungen auch hätte entscheiden können, X nicht zu helfen? Warum habe ich mich dann aber so entschieden, wie ich es getan habe? Doch hoffentlich, weil es zu meinem Charakter (zumindest manchmal halbwegs nett??) passt. In meinen Augen ist es gerade gar nicht wünschenswert, dass ich mich in genau derselben Situation auch hätte anders entscheiden können – denn dann beruht die Entscheidung eben nicht auf meinem Charakter und meinen persönlichen Eigenschaften, sondern auf irgend etwas anderem (und das ist auch der Grund, warum hier Quantenprozesse wenig hilfreich sind – ich hoffe nicht, dass meine Entscheidungen nur vom quantenmechanischen Zufall abhängen).
Und obwohl ich wirklich nicht wenig zum Thema gelesen habe ist es mir bisher aus genau diesem Grund nicht gelungen zu verstehen, wo Anhänger des “freien Willens” das Problem mit dem Determinismus sehen: Ja, meine Entscheidungen sind determiniert, und zwar durch meinen Charakter, meine Art zu denken und meine Gefühle. Auch wenn ich lange über eine Entscheidung nachdenke, sollte doch (hoffentlich) das Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses durch die Gedanken, die ich mir mache, determiniert sein (sonst kann ich mir das Nachdenken in Zukunft sparen und gleich eine Münze werfen). Und diese Gedanken sind meine Gedanken, das heißt, sie sind so wie sie sind, weil ich so bin wie ich bin.
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