Auch der hartnäckigste Anhänger des “freien Willens” sollte doch hoffentlich anerkennen, dass unsere Willensentscheidungen insofern determiniert sind, als sie auf unsere persönlichen Eigenschaften zurückgeführt werden können und dass sie in genau diesem Sinne nicht frei sind. Wie sonst?
Die Vorstellung hinter dem “freien Willen” ist vielleicht die, dass mich die deterministischen Gesetze zu irgendetwas “zwingen” – eigentlich würde ich X helfen wollen, aber die Gesetze führen dazu, dass ich es nicht tue. Das ist aber nicht so: Die Gesetze sind ja genau das, was mich und meinen Charakter ausmacht – ich helfe X, weil es meinem Charakter entspricht und dass es das tut, ist genau auf das Wirken der Gesetze zurückzuführen, die meinen Charakter bestimmen. (Dabei ist es unerheblich, was für Gesetze das sind, siehe die Nachbemerkung.)
Nächster Einwand: “Aber dann kann ich nie etwas anderes wollen, als die Gesetze vorschreiben?” Richtig – wenn ich etwas anderes wollte, als die Gesetze es jetzt determinieren, dann wäre ich logischerweise nicht mehr ich. Der MartinB, der seinem Kumpel X nicht am Computer hilft, ist ein denkbarer MartinB, aber er ist ein anderer als ich es bin.
Und noch ein Einwand: “Wenn meine Entscheidung durch meinen Charakter vorherbestimmt ist und gar nicht anders ausfallen konnte, dann ist es letztlich nicht mehr “meine” Entscheidung, sondern einfach das Ergebnis eine vorbestimmten Prozesses. Wo bleibt da das “Ich”?”
Ich halte das für einen schwierigen Standpunkt – genauso könnte ein Sportler sagen “Wenn meine 100-Meter-Zeit nur das Ergebnis der Biomechanik meiner Muskeln und der Bindungswinkelveränderung von Myosinmolekülen ist, wo ist dann ‘meine’ Leistung?” Dass das Ergebnis meines Denkprozesses vorherbestimmt ist und nicht anders ausfallen konnte, wertet ihn ja in keiner Weise ab – genauso wie es für ein kompliziertes mathematisches Problem auch nur eine richtige Lösung gibt und es trotzdem vielleicht eines langen und komplizierten Rechenweges mit genialen Ideen bedarf, um die Lösung auch zu finden. Und es ändert auch nichts daran, dass es meine Entscheidung war, nämlich genau die Entscheidung, die eine Person mit meinem Charakter getroffen hat (und treffen musste, sonst wäre sie jemand anders).
“Aber”, wendet jetzt unser Dualist ein, “der Rekord des Sportlers beruht ja darauf, dass er viele harte Entbehrungen auf sich genommen und hart trainiert hat, um das zu erreichen, was er erreicht hat – wenn alle diese Entscheidungen durch seinen Charakter determiniert waren, dann hat ‘er’ sie nicht wirklich getroffen, sondern nur ausgeführt. Wenn das Ergebnis aller dieser Entscheidungen determiniert war, worauf genau soll dann unser Sportler noch stolz sein?”
In gewisser Weise ist das richtig. Es fragt sich nur, was die Alternative sein soll. Wenn das Ergebnis der einzelnen Entscheidungsprozesse nämlich nicht determiniert war, wie ist es dann zu Stande gekommen? Durch Zufall? Stellen wir uns den Schlüsselmoment im Leben unseres Sportlers vor, den Tag, an dem er beispielsweise zum Training ging, obwohl er viel lieber etwas anderes gemacht hätte, und an dem er dann einen entscheidenden Fortschritt gemacht hat. Er sitzt also in seinem Sessel, schließt die Augen und ringt mit sich, ob er nun trainieren oder doch lieber ins Kino gehen soll. Wie ist das Ergebnis seiner Entscheidung zu Stande gekommen? Entweder, das Ergebnis stand schon in dem Moment fest, als er sich hingesetzt hat (weil es determiniert war – auch wenn er selbst es noch nicht wusste), oder es stand in diesem Moment noch nicht fest und es hätte genau so gut anders ausfallen können. Wenn es noch nicht feststand, als er sich hinsetzte, dann muss es irgendwie durch seinen Denkprozess zu Stande gekommen sein – an irgendeiner Stelle muss etwas passiert sein, das auch anders hätte passieren können. Und wenn das nicht deterministisch ist (also durch den Charakter unseres Sportlers bis zu diesem Moment vorherbestimmt), was bleibt dann? Zufall? Oder eine externe Einwirkung, so etwas wie ein “göttlicher Funke”? In beiden Fällen könnte unser Sportler das Ergebnis auch nicht für sich beanspruchen – auf gutes Würfeln kann man eigentlich nicht besonders stolz sein (es sei denn natürlich, man ist Fantasy-Rollenspieler ;-)), und auf göttliche Gnade oder sonst eine äußere Einwirkung auch nicht.
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