“Entschuldigung, wie alt ist denn dieses Dinosaurierskelett?” “65 Millionen und sieben Jahre.” “Woher wissen Sie denn das so genau?” “Als ich vor 7 Jahren hier anfing, sagte man mir, es sei 65 Millionen Jahre alt.”
Zugegeben, es ist nicht der lustigste Witz der Welt – aber es ist ein Witz, und ich hoffe, jeder von euch hat das gemerkt. Es sei denn natürlich, hier lesen ZEIT-Wissenschaftsredakteure mit. Die dürften mit diesem Witz so ihre Probleme haben.
Diese Woche gibt es in der ZEIT einen langen Artikel über WIMPs – die hypothetischen Teilchen, die vielleicht die dunkle Materie bilden. Der Artikel ist gar nicht so schlecht, die Suche nach den WIMPs wird am Anfang wie eine Kriminalstory aufgezogen und mit einem kleinen Comic illustriert.
Natürlich enthält auch dieser Artikel (wie gefühlt 95% der Wissenschaftsartikel in der ZEIT) den üblichen Enstieg, bei dem erst einmal auf einen Wissenschaftler fokussiert wird: “Einer der Ermittler sitzt in einer grauen Kantine und steckt seine Gabel in lauwarme Spaghetti.” Klar, das sind die Informationen, die man in einem Wissenschaftsartikel sucht, aber das ist bei der ZEIT (fast) immer so und daran muss man sich wohl gewöhnen.
Bevor wir etwas über Spaghetti lesen, kommt aber der Einstieg über die erwähnte Kriminalgeschichte – und dort lesen wir den Satz
Das letzte Foto der Täter ist allerdings etwa 13 769 620 000 Jahre alt.
Erstaunlich – kann man Zeiten kurz nach dem Urknall jetzt schon auf 8 zählende Stellen genau bestimmen?
Nein, kann man nicht. Später im Artikel lesen wir, dass der Kosmos vor 13,77 Milliarden Jahren entstand und dass etwa 380000 Jahre später das Weltall durchsichtig wurde und dass aus dieser Zeit die kosmische Hintergrundstrahlung stammt.
Und klar, 13 770 000 000 minus 380 000 ergibt 13 769 620 000,
genauso wie 65 000 000 plus 7 = 65 000 007 ist.
Ja, ich weiß. Es ist ja nur eine Illustration zum Einstieg in die Krimigeschichte, die man als Leser sowieso nicht so ganz ernst nehmen soll. Und man soll ja eh nicht immer so krümelkackerig präzise sein, oder?
Vielleicht stimmt das ja. Auf der anderen Seite erlebe ich im Alltag mit meinen Studis immer wieder, dass jemand 8 oder 10 Stellen von seinem Taschenrechner abtippt, sogar bei wissenschaftlichen Vorträgen habe ich so etwa schon erlebt: Bei einer Besprechung eines DFG-Schwerpunkts trug einer der Wissenschaftler die Ergebnisse seiner Parameteranpassung vor, mit (wenn ich mich recht entsinne) 8 Nachkommastellen (von denen höchstens 3 sinnvoll waren), und einer der Zuhörer meldete sich und sagte “Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen die DFG einen größeren Rechnern bewilligt, dann können Sie uns nächstes Mal 16 Nachkommastellen zeigen.”
In der Wissenschaft ist die Zahl der angegebenen Stellen immer auch eine gewisse Garantie: Wenn ich sage, mein Messwert beträgt 24,8 Gnurps, dann darf sich der Zuhörer darauf verlassen, dass der Wert nicht tatsächlich auch 26 oder 23 sein könnte (oft geben wir ja sogar noch Fehlergrenzen an sagen also 24,8 plus/minus 0,3), sondern dass ich mir bei meinem Messaufbau über die Fehlerquellen hinreichend genau bewusst bin, dass auch die erste Nachkommastelle noch einen Sinn ergibt. Gebe ich die 24,8 Gnurps ohne weitere Informationen an, dann darf man annehmen, dass der tatsächliche Wert zwischen 24,3 und 25,3 liegen sollte – wäre die Ungenauigkeit größer als plus/minus 0,5, dann hätte ich auch gleich 25 Gnurps schreiben können. Eine detaillierte Erklärung, wie man mit Messwerten umgeht, findet ihr in diesem Dokument zur Messung radioaktiver Strahlung.
Die 13,77 Milliarden Jahre beinhalten die Aussage, dass wir das Alter des Universumsauf einige zehn Millionen Jahre genau kennen, aber nicht genauer – und im Vergleich dazu fallen die knapp 400000 Jahre Differenz zwischen dem Urknall und dem Beginn der Durchsichtigkeit des Universums nicht ins Gewicht. Und zumindest ich bin nicht der Ansicht, dass man darüber einfach hinweggehen sollte, nur damit man eine schickere Zahl in der Einstiegsgeschichte hinschreiben kann – die wäre mit dem Satz “Das letzte Foto der Täter ist allerdings etwa 13,77 Milliarden Jahre alt” auch nicht schlechter gewesen.
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