Während der Zeit der Dinosaurier führten die Säugetiere ein Schattendasein – die meisten von ihnen waren klein (auch wenn es Ausnahmen gab) und vermutlich waren sie oft nachtaktiv. Als die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren ausstarben, entfalteten sich die Säugetiere geradezu explosionsartig. Innerhalb weniger Millionen Jahre gab es eine Vielzahl neuer Arten. Abgesehen von Australien und Südamerika, wo Beuteltiere (Marsupialia) vorherrschten, handelte es sich bei diesen Säugetieren um Plazenta-Tiere (Placentalia), die Gruppe der Säugetiere, zu denen bis auf die Beuteltiere, den Schnabeligel und das Schnabeltier alle heutigen Säugetiere zählen. Unklar war bisher, ob sich die Placentalia schon lange vorher entwickelt hatten, oder ob sie sich erst kurz vor oder gar nach dem Aussterben der Dinos entwickelt und dann explosionsartig über die Erde verteilten.
Insgesamt gibt es hier drei Szenarien (Bild von whyevolutionistrue)
Entweder haben sich die Placentalia explosionsartig am Ende der Kreidezeit oder am Anfang des Tertiär in explosionsartig verschiedene Gruppen aufgespalten (A), oder die einzelnen Gruppen der Placentalia haben sich zwar lange vor Beginn des Tertiär entwickelt, haben aber nur eine geringe Artenvielfalt gezeigt (B) oder sie haben sich schon früh mit vielen Arten entwickelt, von denen wir aber keine Fossilien haben (C).
Gegen das Modell (A) spricht, dass am Ende der Kreidezeit die Kontinente sich bereits stark voneinander entfernt hatten – wenn sich die ersten Placentalia an einem Ort entwickelten, wie ist es ihnen dann gelungen, sich so schnell über die Erde zu verbreiten? Auf der anderen Seite muss man sich bei Szenario B oder vor allem bei C fragen, warum wir keine Fossilien von den einzelnen Linien gefunden haben.
Eine detaillierte Studie bringt nun Licht ins Dunkel. (Jürgen hat an anderer Stelle schon kurz darüber berichtet (wenn auch nicht ganz fehlerfrei), und eigentlich wollte ich schon längst darüber geschrieben haben. Doch ein Trauerfall in der Familie hat meine Blogaktivitäten etwas gebremst.)
Für die Studie wurden zum einen 40 fossile und 46 heute lebende Säugetiere analysiert, sowohl was ihre Knochenstruktur und Zähne angeht, als auch – soweit möglich – andere Strukturen; das paper (genauer gesagt, das supplementary material) spricht etwas vage von “soft tissue”, aus dem paper geht aber hervor, dass dabei auch solche Eigenschaften wie “bringt nackte Junge zur Welt” dabei sind (die man natürlich nur für heute lebende Säuger kennt). Diese ganzen Daten (immerhin über 4000 Merkmale, die festzulegen und zu bestimmen 5 Jahre dauerte) wurden in eine gigantische Computermatrix gestopft. Zusätzlich wurden für die heutigen Säugetiere auch Genanalysen verwendet.
Dann wurden die Daten kladistisch analysiert – wie das genau geht, habe ich hier mal erklärt. Kurz gesagt werden die Merkmale dazu verwendet, um einen Stammbaum aufzustellen, der möglichst plausibel ist, bei dem also möglichst wenige evolutionäre Sprünge passieren. (Es ist sicher plausibler, dass indische und afrikanische Elefanten ihre Rüssel von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben als dass sie ihn jeweils getrennt entwickelt haben.)
Am Ende kam bei der Analyse ein Stammbaum (vornehm gesagt, ein Kladogramm) heraus. Dieser konnte zusätzlich noch zeitlich kalibriert werden, in dem man die Zeiten verwendet hat, zu denen die fossilen Arten jeweils gelebt haben. So sieht das Ganze dann am Ende aus (am besten klickt ihr aufs Bild und öffnet es in einem anderen Fenster):
Aus O’Leary et al., s.u.
Ziemlich kompliziert, zugegeben. Schauen wir uns das Bild mal in Ruhe an. Rechts seht ihr die unterschiedlichen Säugetiergruppen: “Theria” umfasst die Placentalia und die Beuteltiere (und deren letzten gemeinsamen Vorfahren), dann gibt es “Eutheria” und “Placentalia”. Zu den “Eutheria” gehören alle Tiere, die evolutionär dichter an den heutigen Placentalia dran sind als an den Beuteltieren. Die Gruppe der Placentalia selbst umfasst alle heutigen Placentalia und deren Vorfahren bis hin zum letzten gemeinsamen Vorfahren aller Placentalia. Die “Eutheria” (was übrigens griechisch so viel heißt wie “gute Viecher” oder “echte Viecher”) umfassen also auch alle inzwischen ausgestorbenen Seitenlinien der Linie, die zu den Placentalia führte, nachdem die sich von den Beuteltieren abspaltete.
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